Wenn Folter Leben rettet, ist sie dann legitim?
Folter: Im Kampf gegen den Terror haben die USA zu Methoden gegriffen, die durch nichts zu rechtfertigen sind. Und niemand übernimmt die Verantwortung dafür.
Ist die US-Folter-Debatte nun vorbei? Mit Sicherheit nicht. Was Demokraten im Senat zu ehemaligen Verhörpraktiken im Anti-Terror-Kampf zusammengetragen haben, ist eindrucksvoll, aber auch angreifbar, zumindest im Detail. Es wird noch lang darüber diskutiert werden, wer wann wovon wusste oder hätte wissen können. An der Grundaussage bestand schon zuvor kein Zweifel: Gegen Al-Kaida haben die USA zu Methoden gegriffen, die nicht nur der Rest der Welt als Folter bezeichnet, sondern auch ihr heutiger Präsident.
Dass ein Land ein so sensibles Thema schon zehn Jahre später aufarbeitet, ist sehr selten. Das darf man durchaus anerkennen. Dennoch gibt es an dem Bericht und der Diskussion auch einen verstörenden Aspekt: das hohe Gewicht, das der Frage zugemessen wird, ob die Methoden erfolgreich waren. Für viele Menschen scheint sich die Legitimität von Folter an ihren Ergebnissen zu entscheiden, nicht an moralischen Kriterien. Wenn Folter Leben rettet, ist sie dann legitim?
In Deutschland ist diese Frage nicht unbekannt. 2002 ließ der Frankfurter Vize-Polizeipräsident Daschner den festgenommenen Magnus Gäfgen mit Folter bedrohen, um den entführten Bankierssohn Jakob von Metzler zu retten. Zur Gewaltanwendung kam es nicht, weil Gäfgen zuvor einknickte, der Junge war aber schon tot.
Viele Menschen fanden damals, Daschner dürfe nicht bestraft werden. Er wurde zusammen mit einem untergebenen Beamten wegen Nötigung im Amt verurteilt. Die Verfechter der „Enhanced Interrogations“ in den USA machen ein ähnliches Argument geltend: 2001 waren beim Anschlag auf das World Trade Center 3000 Menschen ums Leben gekommen; es war bekannt, dass Al-Kaida weitere Anschläge plante. Aus Sicht der Verantwortlichen stand die Menschenwürde wichtiger Informationsträger gegen das Leben tausender Unschuldiger. Auch Nichtstun kann ja ein moralisches Versagen sein, und die schlimmsten Methoden sind nur sehr vereinzelt angewendet worden.
Die US-Verfassung verbietet Folter
Allerdings gibt es Schritte, die so weitreichend sind, dass sie einen Dammbruch bedeuten, wenn die Gesellschaft sie billigt. Der Griff zur Folter gehört dazu – wo sie als letztes Mittel akzeptiert ist, da erodieren auch nachfolgende Grenzen. Möglich, dass einzelne Menschen in Ausnahmesituationen für sich zu dem Schluss kommen, sie müssten sie trotzdem anwenden. Diese Entscheidung müssen sie dann allein vertreten, mit allen Konsequenzen.
Das Verstörende an den Führungsfiguren der Regierung Bush ist weniger, dass Menschen glaubten, aus Verantwortung nicht anders handeln zu können. Irritierend ist der Mangel an Verzweiflung, den sie über dieses Dilemma zur Schau tragen.
Die CIA hat Videomitschnitte der schlimmsten Verhöre vernichtet, bis heute gibt es keine klaren Verantwortlichkeiten. Es ist keine Frage, dass der Krieg gegen Al-Kaida die Agentur unvorbereitet traf. Dass sie die heikelsten Verhöre aber nicht einmal selbst führte, sondern nach außen vergab, ist ungeheuerlich. Beunruhigend bleibt zudem, dass nicht einmal Verstöße gegen die eigenen Regeln geahndet wurden.
Die US-Verfassung verbietet jede Form von Folter, international hat das Land entsprechende Konventionen unterschrieben. Nicht nur Amerikaner haben Schwierigkeiten zu verstehen, warum man sich daran im Kampf gegen einen Gegner gebunden fühlen soll, dem sie nichts bedeuten.
Die Antwort ist: Weil eine demokratische Gesellschaft, die anfängt, die Menschenwürde zu teilen, ihre eigenen Fundamente untergräbt. Das ist keine einfache Erkenntnis. Wer sie ernst nehmen will, muss bereit sein, der Rechtssicherheit im Zweifel Menschenleben zu opfern.
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