„Jeder Mensch ist ein Künstler“
In der Kunsttherapie lernen psychisch kranke Patienten, über Gefühle zu sprechen.
Aus dem Kopf schießen Streifen in alle Richtungen. Rot, Blau, Gelb, Lila – vom dunklen Zentrum des Gesichts aus breiten sich die Farben aus. Oder ist die Richtung der Linien eine andere? Schickt nicht der Mensch die Signale nach außen, sondern fängt er sie von seiner Umgebung aus ein?
Die Künstlerin, die das Bild gemalt hat, leidet an Schizophrenie. Durch das Malen versucht sie, ihre Gefühle greifbar zu machen. „Jeder Mensch ist ein Künstler“, heißt eine Ausstellung, die derzeit am Bezirkskrankenhaus Günzburg zu sehen ist. Gezeigt werden Bilder aus dem Titelbild-Wettbewerb der Zeitschrift Psychiatrische Praxis. Es sind Arbeiten von psychisch kranken Menschen, von deren Ärzten, Betreuern oder auch Angehörigen.
Auch ein paar Häuser weiter, im „Atelier“ des Bezirkskrankenhauses, wird gemalt. „Kreativität ist eine gute Möglichkeit, um miteinander ins Gespräch zu kommen – und um so etwas über sich selbst, aber auch über andere zu erfahren“, sagt Thomas Nagel, der Kunsttherapeut am Fachkrankenhaus für Psychiatrie. An diesem Tag sitzt er mit einer Gruppe schizophrener Patienten in der kleinen Werkstatt.
Es gehe ihnen „heute gut“, sagen die Kursteilnehmer zur Begrüßung der Reihe nach. Dann schaut jeder wieder auf das Stück Tischplatte vor sich. Doch Thomas Nagel lässt sich nicht entmutigen. Er teilt Papier aus, Scheren und bunte Kreide. Die Patienten sollen gemeinsam zerschnittene Blätter bemalen, um sie anschließend wieder zusammenzufügen.
Nur langsam, nach und nach, kommt Bewegung in die Gruppe. Auf den weißen Bögen entstehen bunte Streifen, Wellenlinien, Berge, Wasser oder Himmelsstücke. Stifte werden über den Tisch gereicht, verstohlene Blicke auf die Arbeiten der anderen geworfen. Es sind fröhliche Bilder, die da im Atelier der Psychiatrie entstehen: bunte Muster, weite Landschaften, ein Affe, Schlangen und Mäuse, die wie Schildkröten aussehen. „Ich kann keine Mäuse malen, aber das sollen welche sein“, sagt der Patient. Und muss selbst schmunzeln. Am Ende der Therapiestunde erklären die Hobbykünstler sich gegenseitig ihre Werke. Und sie versuchen, zu beschreiben, was ihnen am eigenen und an den Bildern der anderen aufgefallen ist. Zumindest mit ein paar Sätzen bringt sich jeder ein. Und hin und wieder huscht sogar ein Lächeln über eines der Gesichter.
„Was in der Ausstellung zu sehen ist, sind sorgsam ausgewählte Werke aus ganz Deutschland“, sagt Nagel: „In den Therapiestunden entsteht in der Regel keine große Kunst.“ Es sei „heute schön“ gewesen, finden seine Patienten dennoch der Reihe nach. Sie werden nächste Woche wiederkommen, ins „Atelier“, und neue Bilder malen. Die Ausstellung soll bis dahin längst abgebaut sein.
Die Ausstellung im Begegnungszentrum des BKH Günzburg ist noch diese Woche von 8 bis 19 Uhr zu sehen.
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