"One Direction" in München: In einem Meer aus Mädchen-Herzen
Kreischalarm! Der Auftritt von One Direction am Freitagabend in der längst ausverkauften Münchner Olympiahalle zeigt: Das Boygroup-Virus ist mit voller Kraft zurück.
Wie das wohl ist, mit gerade mal 18, 19, 20 Jahren in einem Meer aus Mädchenherzen zu baden? In London, Berlin, Mailand, Madrid, Mexico City, Sydney und New York – überall zu fünf auf einer schmalen Plattform durch komplett ausverkaufte Riesenhallen zu schweben, unablässig von ohrenbetäubendem Kreischen umtost, so dass man den eigenen Song („Change my mind“) kaum noch hören kann, in ein einziges Blinklichtwogen hinein? Ob nette Jungs aus Großbritannien, die vor gar nicht allzu langer Zeit eben noch einfach nette Jungs waren, da nicht doch gelegentlich ein Schwindel erfasst?
One Direction und wieder eine Hochphase des Pop-Phänomens Boygroup
Man könnte jetzt ja meinen: Schaut man halt in die 90er. Das war schließlich die Hochphase des Pop-Phänomens Boygroup – und mit Take That war einer der erfolgreichsten Vertreter eben auch ein Fünfer von der Insel. Aber nö. Was Niall, Zayn, Harry, Liam und Louis, was One Direction, was „1D“ – wie ihre Fans sagen – jetzt, im Jahr, 2013, erleben, haben Robbie Williams und Co. damals so nicht erlebt. Ihre Wiedergänger im 21. Jahrhundert nämlich sind dank eines via Internet noch leichter global wirkenden und global geschmacksgleichschaltenden Geschäfts noch breiter wirksam. Was Take That und auch Robbie solo nie vermochte, haben One Direction auf Anhieb geschafft: Ihre beiden bislang veröffentlichten Alben waren vor allem auch im Pop-Mutterland USA ein voller Erfolg, beide auf Platz 1. Und so ziehen sie nun auch noch größere Kreise, an die aktuelle Europa-Tournee schließen Auftritte in Nord- und Südamerika und Australien an, mit hoher Frequenz. Meine Herren! Äh, Junge, Junge!
One Direction: Die Münchner Olympiahalle war lange ausverkauft
Dabei sind die Erscheinungen vor Ort die gleichen wie einst. Am Freitag traten „1D“ zum letzten ihrer vier Deutschlandkonzerte in der Münchner Olympiahalle an – und bereits ab 10 Uhr morgens standen die ersten Mädchen Schlange. Obwohl erst um 18 Uhr Einlass war, obwohl es zwischendurch regnete, obwohl es für alle feste Platzkarten gab und somit kein Gerangel um die beste Sicht, die größte Nähe zu den Stars. Übrigens einer von mehreren Gründen, auch mal die Veranstalter zu loben: Durch die komplette Bestuhlung der Arena blieb zwar natürlich keiner sitzen, aber gesundheitsförderliche Abstände zwischen den hysterisch hyperventilierenden und allzu leicht kollabierenden Mädchen gewahrt. Dafür nahm man auch in Kauf, nur 10500 statt über 12000 Tickets in München verkaufen zu können – zudem zu vertretbaren Preisen. Gut 50 Euro kosteten die Karten in den ersten Reihen, da hat man die Kids (bzw. deren Eltern) vor Wochen bei Justin Bieber fast das Dreifache löhnen lassen. Und dass das wohl auch hier möglich gewesen wäre, zeigte der Ansturm auf die Karten. Bereits im Dezember vergangenen Jahres, nur wenige Tage nach Eröffnung des Vorverkaufs, waren alle vier Deutschlandkonzerte restlos ausverkauft.
Laut, lauter: Die Mädchen kreischten für die Jungs von One Direction
Und wie war es nun? Lauter als beim Bieber? Nun ja. Gibt es unterschiedlich intensives Taubwerden? Es war unglaublich laut – durchgehend, von jedem Wechsel auf den Videowänden zwischen von Niall zu Harry zu Liam zu Louis zu Zayn und wieder zurück aufs Neue befeuert. Und es war ganz anders als beim Bieber, ganz anders als auch bei Take That. Denn die Jungs von One Direction sind gerade betont nicht zu einer Show-Maschine gedrillt. Hier gibt es keine sekundengetaktete Multimedia-Inszenierung, bloß ein bisschen Rauch und Laser und Flammen und Konfetti und begleitendes Skyline-/Popart-Gedöns im Bühnenaufbau. Hier gibt es auch keinen fest choreografierten Gruppen-Tanz. Es ist, als hätte der Major-Manager des einst bei der Casting-Show „X Factor“ zusammengestellten Jungs-Fünfers gesagt: Geht raus und habt einfach Spaß. Kaum ein Korsett fürs Herumalbern und Posen und dazu bei jedem Konzert der gleiche Songablauf (die Schmelzballaden wie „First Last Kiss“ im üblichen Blockwechsel mit Partyliedern wie dem nach gut 100 Minuten abschließenden „What makes you beautiful“) – das soll es den Jungs wohl möglichst leicht machen. Und das Publikum ist ohnehin das exakte Gegenteil einer kritischen Masse…
Ob das aufgeht? Zum einen: Ja. Weil die Jungs dadurch im Gegensatz zum Bieber nicht in der Show verschwinden, greifbar werden – und das ist ja das, was die Mädchen ersehnen. Das aber könnte im Laufe der noch langen und in hoher Frequenz terminierten Tour noch zum Problem werden. Denn die Lockerheit, die das dann ausstrahlen muss, ist harte Arbeit. Darüber können auch die drei eingespielten Filmchen im Konzert von der immer lustigen Jungs-WG nicht hinwegtäuschen. Und ob sie das unbeschadet durchstehen, sei mal sanft angezweifelt – abseits eines in München viel hustenden Niall, abseits eines sich während der Show das Kinn blutig geschlagen habenden Louis.
Spannungsbogen? Fehlanzeige beim Konzert von One Direction in München
Was halt – zum anderen – nicht aufgeht: der Spannungsbogen. Weil: Es gibt keinen. Das Witzeln der Jungs zwischen den Songs ist diffus und unlustig, die Songfolge verschleift den ohnehin beschränkten Wechsel der Stimmungen ins ohnehin naheliegende Trallala. Da wird das eingestreute Blondie-Cover „One way or another (Teenage Kicks)“ einfach mit zermalen, da ragt höchstens das zweite Cover, „Teenage Dirtbag“ (Wheatus) ein bisschen heraus. Klar, den Mädchenherzen ist das wurscht. Und im Übrigen: Ob sie gut gesungen haben? Leidlich. Zumindest für Ohren, die älter als 18 sind, überlagert die Mädchen-Kreisch-Frequenz ohnehin allzu leicht alles. Aber schick ausgesehen haben die Fünf auf jeden Fall: cool tatowiert (außer Niall), süß lächelnd (ausnahmslos), modisch nur in Schwarz-Weiß gekleidet, ununterbrochen albernd, wenn sie nicht gerade voll einfühlsam singen mussten. Insofern kann gelten: alle Erwartungen erfüllt. Vorerst.
Und drum soll nun alles noch viel größer werden. Am Donnerstag kündigten die Jungs an, dass sie im Anschluss an die jetzige Tournee, also ab April 2014, weitere Termine planen - und dann in Fußballstadien. Zum Beispiel in Lima (Peru). Natürlich im Londoner Wembley-, aber vielleicht ja sogar im Münchner Olympia-Stadion. Wer würde sich auch mit einem Meer an Mädchenherzen begnügen, wenn er ganze Ozeane beglücken kann?
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