Die digitale Welt kann auch Heimat sein
Internet-Experte Sascha Lobo spricht im Interview über die Bedeutung des Lokalen in der Medienwelt der Zukunft. Kann das Internet den Stammtisch ersetzen?
Sein Irokesenschopf fiel zuerst auf, als er in Talkshows auftauchte. Aber schnell wurde deutlich, dass Sascha Lobo (Jahrgang 1975) schon vor Jahren seiner Zeit voraus war: als Autor, Blogger und Medienberater, der die Möglichkeiten des Internets früh erfasste. Der vielbeschäftigte Berliner, der gerne als „Netzpapst“ gehandelt wird, ist Podiumsgast bei den 10. Augsburger Mediengesprächen, die am Donnerstag, 20. September (18.30 Uhr), im Augsburger Rathaus stattfinden. Thema: „Global – lokal – glokal“.
Das Internet kann zur Heimat werden, lautet eine Ihrer Thesen. Nun hat Heimat für viele mit Wärme und sozialer Sicherheit zu tun. Wie verträgt sich denn das überschaubare Lokale im Leben mit dem Netz, dem globalisierenden Medium schlechthin?
Lobo: Da ist meine Haltung relativ klar. ich glaube, dass Heimat in erster Linie ein Gefühl ist. Viele junge Leute sind aber der Meinung, dass Heimat nicht nur ein Ort ist, zu dem man hingehen kann, sondern den man auch anklicken kann.
Traditionelles gesellschaftliches Verhalten steht doch auch dafür, dass Menschen aufeinander zugehen. Und Menschen sind sich im Kontakt untereinander doch näher als in der Offline-Welt.
Lobo: Ich möchte das nicht gegeneinander ausspielen. In vielen Bereichen kann es zu einem freundschaftlichen Miteinander kommen. Natürlich ist das Digitale nicht der Ersatz für die gesamte Welt. Es gibt aber eine Verbindung zwischen beiden.
Ihnen sind Menschen oft hinter dem Bildschirm näher als Menschen in der Offline-Welt. Warum denn das?
Lobo: Nähe ist keine Frage der Körperlichkeit . . .
Das haben wir doch schon alle anders erlebt. Zum Glück.
Lobo: Ja, haha, aber das ist eine ganz andere Geschichte. Ich denke da etwa an einen guten Freund, der 30 Kilometer entfernt wohnt, und einen Nachbarn, der direkt nebenan lebt. Die Verbundenheit kann mit dem Menschen in der Nachbarstadt größer sein als mit dem Nachbarn direkt nebenan. Und das hat nicht nur mit Technologie zu tun. Nähe herzustellen ohne physische Anwesenheit ist doch nichts Neues. Das kennen wir doch von Freundschaften, die seit langem über regelmäßiges Telefonieren funktionieren.
Kann das Internet wirklich den Stammtisch oder den Marktplatz ersetzen?
Lobo: Nein, das Netz kann den Stammtisch und Ähnliches nur ergänzen. Das Spannende ist aber im Netz die Erweiterung der Kontakte, die größere Chance, interessante Menschen kennenzulernen. Wie das jemand nun hält, ist von Mensch zu Mensch verschieden.
Es gab doch immer die Vorstellung, dass zurückgezogen lebende junge Männer bei heruntergelassenen Jalousien sozial vor dem Computer vereinsamen. Finden Sie das gut?
Lobo: Das kann unter Umständen am Anfang so gewesen sein, als technikaffine junge Männer stark im Internet unterwegs waren. Jetzt ist es nicht mehr so. In den sozialen Netzwerken sind inzwischen die Frauen in der Mehrzahl. Das zeigen auch viele Studien. Zum Beispiel ist ziemlich klar, dass Leute, die in sozialen Netzwerken aktiv sind, sich auch in der normalen Welt viel häufiger mit anderen Menschen treffen. Das zeigt einem auch, wie Menschen sich sozial engagieren. Leute, die Gemeinschaftssinn haben, haben den online wie offline, aber bei Leuten, die als Einzelgänger gelten, kann das anders sein.
Heimat, mal heruntergebrochen auf das Lokale. Wenn ich will, kann ich im Internet das Leben eines Dorfs in Alaska jeden Tag anschauen. Aber was bringt das den Lesern einer Regionalzeitung? So betrachtet, wie sehen Sie die Chancen der Printmedien in der Zukunft?
Lobo: Ich sehe, dass lokale Informationen im Internet ein Teil der Zukunft sind. Dort werden Nachrichten immer lokaler. Das Print-Produkt ist aber in den Köpfen und Händen so verankert, dass der Bedarf eine Weile anhalten wird. Und viele Menschen hängen auch an ihrer Zeitung. Wie lange das anhalten wird, weiß ich nicht. Aber ich bin sicher, dass lokale Informationen, wie sie eine Regionalzeitung beschaffen kann, immer gefragt sein werden. Aber die Redaktionen müssen darauf vorbereitet sein, dass Informationsbeschaffung und Verbreitung der lokalen Informationen im Mittelpunkt stehen. Das muss nicht zwingend auf Papier sein.
Dass Zeitungshäuser crossmedial arbeiten, dass Print, Online, Radio und Fernsehen im Verbund eine größere Rolle spielen, ist bekannt. Das geschieht auch in unserem Haus.
Lobo: Freilich. Allein die Tatsache, dass alles andere weltweit verfügbar ist, macht doch gerade die lokale Information umso interessanter. Aber die Art und Weise der Verbreitung dieser lokalen Information wird das Thema der Zukunft sein.
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