Buhrufe und SpongeBob: "Macbeth" im Problemquartier
In Giuseppe Verdis Blutrausch-Oper rührt sich was. Sex & Crime sind darin vorgesehen, ein kolossaler Plüschbär nicht. Was war gut? Was war schlecht?
Schon länger sind Theater Problemquartiere. Erstens kosten sie nicht wenig. Zweitens zeigen sie für das Geld ganz gern, was das hochmögende und das schlichter gestrickte Publikum nicht immer unbedingt sehen möchte. Dieses zahlt– und kriegt als Hausaufgabe noch mit heim: Besser dich! Früher gab es die Zensur, die die Erziehungsanstalt im Zaum hielt. Heute bricht sich Unzufriedenheit durch Buhrufe, schlechte Kritiken und Intendanten-Einbestellungen ins Rathaus Bahn.
Das Theater Augsburg ist derzeit geradezu Inbegriff eines 1-a-Problemquartiers. Dort verdichtet sich Vorgenanntes. Es kostet – und wird noch mehr kosten. Seine Gebäude wurden vernachlässigt – und nun muss die Stadt nachbessern. Dazu zeigt es auch Stoffe, die weniger erbaulich-amüsant sind als ungemütlich-insistierend. Die, wie in Giuseppe Verdis „Macbeth“, das Wesen des Menschen drastisch blank legen. Wer – nach Sanierungsprotesten der vergangenen Woche – nun die jüngste Opernpremiere erlebt hat, in der der Bär steppt und der Papst boxt, der weiß, wie rasend schnell sich hier und da Sammelbecken bilden können von unterschiedlich Unzufriedenen, wie schnell man mit dem Buh bei der Hand ist. Gleichzeitig gilt: Es ist keine Kunst, für diese Opernpremiere harsche Kritiken aus der Landeshauptstadt vorauszusehen. Aber einfach und eindeutig liegt der Fall keineswegs.
Also Problemquartier „Macbeth“. Verdi vertonte mit seiner Blutrausch-Oper eine „Räuberhöhle“ – was ein geradezu romantischer Begriff ist gegenüber der modern-monströsen Trash- und Chaos-Gesellschaft, der König Macbeth auf der Augsburger Bühne vorsteht: keine Mordbuben und Teufelsweiber einer historischen Mantel- und Degen-Legende, sondern eine psychisch und physisch abgewrackte, also in jeder Hinsicht verelendete Öffentlichkeit. Shakespeares Hexen: Straps-Girls zur Hebung der Truppenmoral im Camp. Macbeth und Banquo: Soldaten einer US-Spezialeinheit. Lady Macbeth: eine bigotte Karrieristin, in der Bibelglauben, Sextrieb und Machtstreben zusammenschießen. Sie ist es, die König Duncan ersticht; Macbeth tritt als Psychopath mit Halluzinationen nur noch ein wenig nach – was konform geht mit soundsoviel Inszenierungen, die Macbeth als zaudernd Getriebenen zeichnen.
Die Halluzinationen von Macbeth sind böse Trips eines Junkies
Im zweiten Akt dann wird klar, was hier alleiniger Motor ist für das ineinander verstrickte Macbeth-Ehepaar: Erste Entertainer einer billigen Spaßgesellschaft sein zu wollen, für die Las Vegas, Plärrer, Operettenstaat, Varieté und Comic-Strip das infantil Höchste ist (Bühne: Ralf Käselau). Hier sind beide im Element, das ist ihre Wollust der Macht, das ist ihre Show – und die hat weiterzugehen. Der Zuschauer aber, der das verderbte Wunschkonzert-Leben besichtigt, denkt sich: fehlt nur noch Rauschgift. Und prompt reicht es Regisseur Lorenzo Fioroni im dritten Akt nach: Die Halluzinationen von Macbeth sind auch böse Trips eines Junkies.
Gleichwohl gilt: So darf man es sehen, so kann man es machen, so werden – ausgefeilt bis ins Detail – die rüden, vulgären Geschehnisse auch heute plausibel. Das ist stark. Aber Fioroni, der in Augsburg schon den Blutrausch „Elektra“ messerscharf inszenierte, hat immer noch mehr Ideen, will immer noch mehr special effects neben Sex & Crime – pickepacke. Und so mischen sich noch allerlei neckische Wesen aus Comic, Horrorfilm und Animation unters Bühnenvolk: Superman, King Kong, SpongeBob, Weihnachtsmänner usw., usf. (Kostüme: Annette Braun) Und König Duncan ist ein Drei-Meter-Plüschproblembär, der nach zappelndem Hinscheiden natürlich auch einen XL-Sarg benötigt. Gewiss: Auch das Groteske und Grelle, das Überzeichnete und die Farce gehören zur „Macbeth“-Rezeption. Doch hier überfrachtet es wildwuchsartig die Inszenierung, ja lässt sie unnötig als unproduktiv-provokant erscheinen. Immerhin wurde etwas gewagt – in einem Moment, in dem andere Intendanten vielleicht auf die Idee kämen, im Problemquartier leise zu treten.
Einmal erwischten ungerechterweise ein paar Buhs Matias Tosi als Macbeth – obwohl dessen Vergewaltigung gemeint war. Dabei sang und spielte Tosi – in Relation gesetzt zu seiner Indisposition – vortrefflich. Ebenso Sally du Randt als Lady Macbeth, hier im Vokalen eher todesengelsgleich als teuflisch. Ji-Woon Kim verlieh dem Macduff einen tragenden bronzefarbenen Tenor-Kern, Christopher Busietta setzte als Malcolm Akzente, Vladislav Solodyagins Banquo-Bass jedoch erklang etwas unausgeglichen. Erstaunlich die Philharmoniker und der Opernchor unter Lancelot Fuhry. Sie boten ein Mehr an Auskosten, ein Mehr an Belcanto, also mehr große Oper, als Verdi ursprünglich vorgesehen hatte. Man konnte das geradezu genießen. Aber die Partitur besitzt auch Züge ins Expressive, Schneidige, Rabiate.
Weitere Termine: 4., 10., 14. Juni
Die Diskussion ist geschlossen.