Gerhard Richter: Kann man Auschwitz malen?
Wiederholt hat der Maler Gerhard Richter mit dem Thema gerungen. Ohne Ergebnis. Dann wurde er aufmerksam auf vier unter Todesgefahr aufgenommene Fotos aus dem KZ.
Wiederholt hat der deutsche Maler Gerhard Richter versucht, das nicht zu bewältigende Thema Auschwitz künstlerisch zu bewältigen. Zunächst Ende der 60er-Jahre, dann Ende der 90er-Jahre erneut, als er gebeten worden war, eine Arbeit für das Reichstagsgebäude in Berlin zu schaffen.
Beide Male kapitulierte Richter davor, die monströse, dämonische Grausamkeit ins Bild zu setzen. Im Entrée des Bundestagsgebäudes hängt jetzt die 21 Meter hohe Hinterglas-Farbfolge Schwarz, Rot, Gold. Und gegenüber dieser Zeitung erklärte der Künstler noch im Oktober 2013 zum Komplex Auschwitz: „Das kann man sicher malen, aber ich kann es nicht.“ Dies geschah bei einer Ausstellung seines Archivs „Atlas“, in dem sich Fotos aus Konzentrationslagern befinden.
Dann jedoch, im Sommer 2014, anlässlich seiner großen Ausstellung bei Basel, war im dazugehörigen Katalog zu lesen: Richter habe bereits im Dezember 2013 begonnen, malend noch einmal etwas zu wagen – mit unbestimmtem Ausgang. In seinem Atelier würden vier Auschwitz-Fotografien vor vier großen leeren Leinwänden hängen.
Albertinum: Vier große Gemälde zu Ehren von Richter
Jetzt, 15 Monate später, sind im Dresdner Museum Albertinum zwei Räume zu Ehren Richters wiedereröffnet worden, die der Kölner Maler auch selbst neu gestaltete. Und der erste Raum enthält tatsächlich das ihm zunächst Unmögliche: vier große Gemälde auf der Basis von vier Fotografien, die 1944 unter Todesgefahr von einem jüdischen Häftling in Auschwitz als Beweismaterial aufgenommen wurden. Der Häftling war Teil des sogenannten „Sonderkommandos“, das – bevor dessen Mitglieder selbst ermordet wurden – gezwungen war, die Mordmaschinerie zu bedienen.
Die vier Fotos wurden aus dem Todeslager mit den Worten geschmuggelt: „Können Fotos machen. Wir schicken Aufnahmen aus Birkenau, die Gefangene auf dem Weg in die Gaskammer zeigen. Eine der Aufnahmen zeigt einen der Scheiterhaufen, auf dem man die Leichen unter freiem Himmel verbrennt, da das Krematorium zu klein ist, um sie alle dort zu verbrennen. Vor dem Scheiterhaufen Kadaver, die man hineinwerfen wird.“
Der französische Kunsthistoriker und Philosoph Georges Didi-Huberman hatte die vier Fotografien 2007 in seinem Buch „Bilder trotz allem“ appellativ veröffentlicht – und Gerhard Richter war auf diese Publikation hingewiesen worden. Jahrelang arbeitete es in ihm. Ein vergrößertes Foto aus der Serie begleitete sein Schaffen im Atelier. In dem Dokumentarfilm „Painting“ (2011) spricht er darüber.
Richter setzte die Bilder übermalend fort
Dann, eben im Dezember 2013, begann Richter, dieser zweifelnde, dunkle Historien-Maler, wie es keinen anderen gibt, noch einmal das, was als eine Art Trauerarbeit umrissen werden könnte: Nach seinem Baader-Meinhof-Zyklus, nach seiner 9/11-Verarbeitung, versuchte er, nach den Auschwitz-Fotografien zu malen – zunächst figurativ.
Aber das, was er unter Qual und Hoffnung wohl von sich selbst erwartet hatte, gelang auch dieses Mal nicht: die gegenständliche Bewältigung der grauenvollen Fotos von Auschwitz. So setzte er die Bilder übermalend fort – wie er es zuvor schon öfter getan hatte, öfter tun musste – auch bei einzelnen Bildern des Baader-Meinhof-Zyklus.
Im Dresdner Albertinum hängen nun also vier abstrakte Werke mit den Nummern 937/1-4. Schwarz, grau, weiß, wenig blutrot, wenig grün. Ihnen gegenüber, vis-à-vis vier gleich große Fotos der vier Gemälde. Richter hatte im Vorfeld eine Zeit lang durchaus erwogen, auch die vier schrecklichen Auschwitz-Fotografien von 1944 als Anlass dieser Serie im Raum zu zeigen. Er nahm davon jedoch wieder Abstand.
Gerhardt Richter hat das Thema Auschwitz behandelt - und doch auch wieder nicht
Nun hat also Richter, der ja schon einige Bilder zum NS-Umfeld malte („Onkel Rudi“, „Tante Marianne“, „Herr Heyde“), das Thema Auschwitz doch behandelt – und doch auch wieder nicht. Vielleicht sind die vier Bilder das natürlich und angemessen Größtmögliche, was er überhaupt erzielen konnte, erzielen durfte – mit der Kraft des Unvorhersehbaren. Das Unfassbare konnte Richter auch im dritten Anlauf nicht fassbar machen. Aber er brachte eine abgründig-düstere Gedenkstätte fertig.
Die Diskussion ist geschlossen.