Rekordverdächtig: seit 60 Jahren das gleiche Stück
Mannheim spielt seinen „Parsifal“ schon ewig – für das Publikum ist das Kult
Gerade erst haben die Theater- und Opernhäuser ihre Spielpläne für die kommende Saison vorgestellt: neue Themen, neue Ideen, neue Stücke und Inszenierungen. In solchen Augenblicken spürt man, dass die darstellende Kunst immer auch vom Vergänglichen umweht wird. Diese Kunst ist für den Augenblick, für den Moment der Aufführung geschaffen, und schon nach dem Schlussapplaus lebt das eben Gesehene nur noch als Vergangenes im Betrachter fort. Und wenn die Stücke abgesetzt werden, besteht nicht einmal mehr die Möglichkeit der Wiederholung, dann bleibt nur noch die Erinnerung, der man daheim mit dem Programmheft vielleicht noch auf die Sprünge helfen kann.
Es gibt aber auch Ausnahmen, Theaterstücke, vor allem aber Operninszenierungen, die der Zeit trotzen, die zu Institutionen, zu Legenden an den großen Häusern werden. Vielleicht, weil sie seinerzeit bahnbrechend waren, vielleicht auch, weil sie das Werk auf zeitlose Weise getroffen haben, vielleicht auch nur, weil das Publikum sie so heiß und innig liebt. Diese Inszenierungen haben die ersten Besetzungswechsel verkraftet, haben irgendwann auch den ersten Intendantenwechsel unbeschadet überstanden, später dann einen solchen Nimbus bekommen, dass man es sich als neuer Leiter einer Bühne dreimal überlegt, ein solches innig verehrtes Werk abzusetzen.
Gerade feiert an der Oper Mannheim eine solche „klassische“ Inszenierung ein Bühnenjubiläum der besonderen Art: Seit 60 Jahren sehen die Menschen dort Richard Wagners „Parsifal“, 1957 in Szene gesetzt von dem damaligen Intendanten Hans Schüler. Das Mannheimer Musikdrama gilt damit als die wohl älteste Opernproduktion im Repertoire deutschlandweit. Auch international sind solche Theater-Oldtimer eher Raritäten. Der Vorstellung am 15. Juni – letzter „Parsifal“ in Mannheim in diesem Jahr – fiebern die Fans schon entgegen. „Als ich hier begonnen habe, war ich durchaus überrascht von der tiefen emotionalen Verbundenheit der Mannheimer zur Aufführung“, sagt Albrecht Puhlmann, Opernchef am Nationaltheater seit 2016/17. Für ihn ist das fünfstündige Stück von 1882 auch identitätsstiftend im Verhältnis des Hauses zu seinen Besuchern. „Einerseits ist es ein Blick zurück in eine vermeintlich heile Theaterwelt, andererseits steht die Botschaft Mitgefühl glasklar im Zentrum“, meint Puhlmann. „Aus dem Blick zurück wird damit ein Blick nach vorn.“ Seit der Premiere tritt das Ensemble in Originalkostümen auf. Für das Publikum ist das Kult – es bestaunt die Inszenierung auch als gelebte Theatergeschichte. „Die Aufführung ist sehr puristisch. Es gibt auf der Bühne fast nichts mehr“, sagt Puhlmann. Ein dezenter Hügel, ein paar Requisiten, ein Rundhorizont sowie Projektionen – das war’s. Effekte: Fehlanzeige. Moderne Anspielungen: nichts davon. „Mönche sind Mönche“, sagt Puhlmann.
In Mannheim ist es der „Parsifal“, an der Deutschen Oper in Berlin ist es eine Puccini-Oper, die den Spielplanwechseln trotzt: die Tosca-Inszenierung von Boleslaw Barlog hatte dort im April 1969 Premiere und wird seitdem gegeben. Flankierend an ihrer Seite stand jahrzehntelang eine Tosca-Inszenierung von Carl Riha an der Staatsoper Berlin, dort gespielt von 1976 bis 2014. Wobei gesagt werden muss, dass bis 1989 die Mauer die Häuser trennte.
Geschichten ranken sich um solche Dauerbrenner viele. An der Staatsoper Wien fing es mit der „Boheme“ von Franco Zeffirelli nämlich denkbar schlecht an: Das Publikum bekam am 3. November 1963 nämlich nicht die Premiere zu sehen, sondern nur den Dirigenten Herbert von Karajan und den Direktor Egon Hilbert, der dem Publikum umständlich erklärte, dass die Künstler streikten, weil das Haus statt eines Souffleurs einen Maestro Suggeritore – einen italienischen Souffleur – verpflichtet habe. Eine Woche später fand die Premiere statt – ohne Souffleur, dafür aber mit einem begeisterten Publikum, das die Akteure feierte. Seitdem ist diese Zeffirelli-Inszenierung ein fester Bestandteil des Wiener Opernrepertoires. (mit dpa)
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