Abenteuerlich: Der russische Weg zum Führerschein
Adilya Zaripova wollte ihre Fahrerlaubnis in Moskau auf legalem Weg erwerben. Doch dieses Vorhaben wurde für die junge Frau zum Horror.
Es klingt wie ein sehr schlechtes Drehbuch. Aber es ist kein Kinofilm mit miserablen Schauspielern, für die kaum Budget übrig bleibt, sondern Realität. In der Hauptrolle: Adilya Zaripova. Eine junge Russin, die in Moskau lebt und in einem dunklen Hinterhof ihre Führerscheinprüfung machen soll. Ihr Prüfer, der kein Prüfer ist, sondern nur vorgibt, einer zu sein, sitzt mit blauem Auge und einer verdreckten, nach Öl stinkenden Latzhose auf dem Beifahrersitz. Er gibt Anweisungen, wie Zaripova das Auto steuern soll. Doch damit nicht genug. Auf der Rückbank des Geländewagens sitzen drei Männer, die die Brüder des Prüfers sein können. Sie grölen, trinken Bier und reißen miese Witze über Frauen.
Eigentlich wollte Zaripova, damals 25, nur ihren Führerschein machen. Doch dieses Vorhaben wurde zum Horror. Denn als sie sich bei Moskaus größter Fahrschule „Zentrale Fahrschule Moskau“ anmeldete, ahnte sie nicht, dass es viel schwieriger werden würde, ihre Fahrerlaubnis auf legale Weise zu erhalten, als diese zu kaufen. Der Handel mit Führerscheinen ist vor allem ein osteuropäisches Phänomen. Besonders in Moskau floriert das Geschäft mit den Fahrlizenzen. Und diese Praxis bereitet unabhängigen Beobachtern wie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Sorgen.
In Russland gibt es besonders viele Unfälle
Denn die Faktenlage ist eindeutig: In Russland ereignen sich deutlich mehr Unfälle im Verhältnis pro Kopf als andernorts. Eine Statistik der OECD besagt, dass es im Jahr 2013 insgesamt etwa 27.000 Verkehrsunfälle mit Todesfolge in Russland gab. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum waren es in Deutschland 3339 Tote. In allen europäischen Ländern ist nach Angaben der OECD die Unfalltotenzahl seit 1970 stetig gesunken – nur nicht in Russland. Auch die russischen Politiker haben das Problem erkannt und wollen durchgreifen. Von 11500 Fahrschulen, die bis Ende 2014 offiziell eine Lizenz hatten, blieben Anfang 2015 nur noch 1800 übrig. Alle anderen haben dichtgemacht.
Fahrschülerin Adilya Zaripova hatte jedoch das Pech, bei einem Fahrlehrer zu landen, der keiner ist und der für eine Fahrschule arbeitet, die keine ist. Die Firma besitzt keine Lizenz, Prüfungen abzunehmen, sondern ist nur Subunternehmer der „Zentralen Fahrschule Moskau“. „Willkommen in Russland“, sagt die 29-Jährige, die heute in Hamburg lebt und zurzeit ihr Studium abschließt. „Es ist ein großes korruptes System, in dem vor allem in Moskau Führerscheine leichter gekauft werden können.“
Jedes Mal, wenn die junge Russin sich zur Prüfung anmeldete, ließ man sie durchfallen: Das erste Mal, weil sie angeblich zu schnell bremste, das zweite Mal, weil ihr Auto schief stand, und das dritte Mal gab man ihr ein altes sowjetisches Auto ohne Servolenkung. Am Ende der ersten Fahrstunde redete ihr Fahrlehrer Ylias Klartext: „Es ist viel einfacher, wenn du den Führerschein nur bezahlst und ihn dann gleich morgen abholst.“ Zaripova verneinte. „Mein Fahrlehrer sagte nur: ,Okay, du wirst es schwer haben’.“ Doch Ylias ist gefangen im System. Seine Fahrschule besitzt keine eigene Lizenz. Die Angestellten vermitteln über die „Zentrale Fahrschule Moskau“ einen Kontakt an die Verkehrspolizei, die dann Führerscheine ausstellt.
Jährlich werden in Russland 1,5 Millionen Führerscheine ausgestellt
Hat sich innerhalb von fünf Jahren das System geändert? Spurensuche in der Zwölf-Millionen-Metropole. 100.000 Menschen machen nach Angaben des russischen Fahrschulverbandes dort jedes Jahr ihren Führerschein – oder kaufen ihn einfach so. In ganz Russland werden jährlich 1,5 Millionen Führerscheine ausgestellt. Sergej Lobarew ist der Chef der „Zentralen Fahrschule Moskau“ und gleichzeitig Vorsitzender des Verbandes aller russischen Fahrschulen. Der einflussreiche Mann mit drei riesigen Stirnfalten scheut Menschen. Unsere Zeitung wollte von Lobarew wissen, ob es zutreffend sei, dass seine Fahrschüler einen Schein viel einfacher kaufen könnten. „Ihre Fragen zaubern mir ein Lächeln auf die Lippen“, schreibt der Chef der Fahrschule. „Mir sind keine Fälle bekannt, in denen unsere oder andere Fahrschulen Schüler anwerben und diesen dann anbieten, den Führerschein zu kaufen.“
All das hilft Zaripova nichts. Seit zwei Jahren darf sie kein Auto bewegen, denn ihr Führerschein wird in Deutschland nicht anerkannt. Dieser ist nach der ersten Einreise sechs Monate gültig, dann muss er neu gemacht werden. Zaripova steht bei Null. „Ich glaube jedoch“, sagt sie resigniert, „dass ich hier nicht mehr mit stinkenden Schlägertypen zur Prüfung muss.“
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