Ein Flutopfer erzählt: "Ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll"
Flutopfer Josef Gruber fürchtet, dass er sein Haus in Fischerdorf abreißen lassen muss. Die Kredite laufen noch. Mehr als 300 Euro an Soforthilfe hat er bisher noch nicht bekommen
Es gibt Leute, die behaupten, Tiere könnten Unheil wittern. Ob das in Fischerdorf so war, daran erinnert sich keiner mehr. Ob die Pferde auf der Koppel gegenüber aufgeregt wieherten oder Katzen und Hunde davongelaufen sind? Niemand achtete darauf. Alle sind vergangenen Dienstag damit beschäftigt gewesen, sich und ein wenig Hab und Gut in Sicherheit zu bringen. Hals über Kopf mussten die Menschen in dem Deggendorfer Stadtteil aus ihren Häusern flüchten, als plötzlich die Flut nach einem Deichbruch, mit dem keiner gerechnet hatte, von der Autobahn A3 her über eine Weide anrauschte.
Jeder kann die Katastrophe riechen. Es ist ein unheimlicher Gestank
Jetzt, wo das Wasser sich träge wieder zurückzieht, kann jeder die Katastrophe riechen. Es ist ein unheimlicher Gestank - eine Mischung aus Öl und Moder, der schnell Kopfschmerzen verursacht. Er stammt wahrscheinlich aus dutzenden von Tanks, die das Hochwasser in den Kellern gehoben und umgedreht hat. In Fischerdorf läuft auch am Donnerstag, am Tag neun nach der Hochwasser-Katastrophe, noch immer eine regenbogenfarben schillernde Brühe durch die Straßen. Freiwillige Helfer packen an und zerren zerstörten Hausrat aus Häusern, die das Wasser schon wieder freigegeben hat. Vor den Gärten türmt sich Müll.
2500 Leute lebten in Fischerdorf. Bis zu drei Meter standen ihre Häuser in den Fluten. Einer von ihnen ist Josef Gruber. An diesem Donnerstagvormittag kann er sein Haus zum ersten Mal wieder betreten. Allerdings nur in Gummistiefeln. Mit einem Motorroller ist der 50-Jährige gekommen. Seine Frau und die beiden Kinder haben bei der Schwiegermutter, die eine kleine Wohnung besitzt, vorübergehend Unterschlupf gefunden. Seine Familie hat Gruber vorerst lieber dort gelassen: "Ich möchte das alles erst einmal alleine anschauen."
Gruber: "Ich weiß nicht mehr, wie es bei uns weitergehen soll"
Fassungslos steht der fast 1,90 Meter große Mann da und blickt minutenlang einfach nur schweigend auf sein Zuhause. Der Garten steht fast einen halben Meter unter Wasser. Die aprikotfarbene Fassade wirkt kaum beschädigt. Nur in Höhe des ersten Stockes zeichnet sich der höchste Pegel der Flut ab. Gruber gibt sich einen Ruck, krampft die Hände in den Hosentaschen zusammen und watet die wenigen Meter von der Straße hinüber zur Eingangstür.
Drinnen sieht es schlimmer aus, als man es sich in einem Albtraum vorstellen könnte. Nichts ist mehr, wie es war. Eine abgehängte Decke hängt herunter, rechts im Wohnzimmer schwimmt die Couchgarnitur, Schränke und Regale hat das Wasser umgeworfen. In der Küche überall verstreut Schuhe, Geschirr, Kleidung, Spielzeug, Bücher - alles ein großes Durcheinander. An der Decke zeichnet sich ein langer Riss ab. Das sorgfältig geflieste Bad ist verwüstet. Nur im ersten Stock wirkt alles halbwegs in Ordnung.
Es ist schwül-heiß. Die Temperaturen sind auf fast 30 Grad gestiegen. Gruber, in Muskelshirt und Jeansshorts, prüft dies und jenes. Sein Schmerz über das Chaos ist förmlich zu spüren. Er weint nicht. Aber es sei ihm durchaus danach zumute. "Ois hi", sagt er. In diesen zwei schlichten Worten liegt das persönliche Drama dieses Mannes. Gruber sagt: "Es ist ja Gott sei Dank niemandem etwas passiert - aber ich weiß trotzdem nicht mehr, wie es bei uns weitergehen soll."
300 Euro Soforthilfe von der Caritas ist bislang die einzige Unterstützung
Von draußen ist das dumpfe Geratter von Pumpen zu hören, irgendwo in der Stadt heult ein Martinshorn. Gruber erzählt, dass bei ihm nichts versichert ist. Die Hausratversicherung zahle keinen Cent. "All die Jahre umsonst gearbeitet", stöhnt er. Die Kredite für den Hauskauf und die Renovierung laufen weiter. Jahre wird er sie noch abzahlen müssen. Dass er sich von acht Milliarden Euro, die die Bundesregierung angekündigt hat, ein neues Heim bauen kann, glaubt Gruber nicht. 300 Euro Soforthilfe der Caritas ist bislang die einzige Unterstützung, die er bekommen hat.
Als er sein Haus wieder verlässt, schätzt er: "Ich werde es wohl abreißen lassen müssen." Auch sein Nachbar macht das. Ziegel sind locker. Heizung, Elektrik, Decken - alles kaputt. Gruber befürchtet, weil er sein Haus mit einem Wärmeschutz versehen hat, würden die Wände nicht mehr austrocknen. Den Schaden schätzt er auf "mindestens eine viertel Million Euro".
Der Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter verspricht zur selben Zeit: "Wir lassen niemanden im Regen stehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gesagt, das Aufräumen gehört auch zur Katastrophe - das gilt auch in Fischerdorf und Natternberg und überall, wo sonst noch Häuser unter Wasser stehen. Und dazu stehe ich."
4500 freiwillige Helfer haben sich bereits gemeldet
Vorbildlich ist die Hilfsbereitschaft, hier wie auch im knapp 50 Kilometer donauabwärts gelegenen Passau. Mehr als 4500 freiwillige Helfer haben sich bereits für die Aktion "Deggendorf räumt auf" gemeldet. An diesem Tag sind knapp 2000 von ihnen im Einsatz, um Häuser zu entrümpeln. Für das bevorstehende Wochenende werden noch weitere Helfer gesucht. Freiwillige sollten sich unbedingt vorher bei der Helfer-Hotline "Degendorf räumt" anmelden.
Die Hilfe wird dringend benötigt. Wer in diesen Tagen über die Donaubrücke nach Fischerdorf läuft, das die Polizei noch immer abgesperrt hat, kommt durch ein Industriegebiet. "Automeile" nennen sie es, weil sich ein Pkw-Händler an den anderen reiht. Hier wird geschrubbt und gewaschen. Auf den Höfen der Händler stehen Wracks - schlammbeschmierte und triefend-nasse Modelle der unterschiedlichsten Marken - BMW, Fiat, Jaguar. Bei manchen haben die Fluten den Kotflügel weggesprengt, Kofferraumdeckel stehen offen, Fenster sind zersplittert. Was letzte Woche noch ein Luxuswagen war, ist nun Schrott.
Dazwischen überall geflutete Häuser, Wiesen, Menschen in Gummistiefeln, Bagger, Raupen, schweres Gerät. Man muss vorsichtig sein auf der Straße. Man kann hier leicht überfahren werden. Dixie-Toiletten sind in einem Garten aufgereiht. An der Donaubrücke ist die Sammelstelle für die Hilfskräfte. Es herrscht geschäftiges Treiben.
Umziehen würde Gruber schon, aber das Haus ist nicht mehr verkäuflich
Gruber bekommt von all dem nicht viel mit. Er steht wieder auf der Straße und tauscht sich inzwischen mit seinem Nachbarn aus. Bei dem stand das Wasser nicht so hoch wie bei ihm. Dessen Haus wird bereits leer geräumt. Doch auch der 28-Jährige sieht kaum eine Chance, die Immobilie zu retten. Vor allem vor drohendem Schimmelbefall hat er Angst. Den meisten geht es hier so. Immerhin glaubt der junge Mann, einen Neubau finanziell stemmen zu können.
"Wer aber gibt mir in meinem Alter noch einen neuen Kredit?", fragt Gruber. Wo solle seine Familie künftig bleiben? Alles offen. Umziehen würde er schon. Aber sein Haus sei halt nicht mehr verkäuflich. Auch der Wert des gut 600 Quadratmeter großen Grundstücks dürfte nach der Flut schneller gesunken sein als der Wasserpegel. Gruber steht vor dem Nichts.
Die Flut, so hörte er von anderen, hätte Fischerdorf nicht überschwemmen müssen. Seit 30 Jahren sei bekannt, dass der Damm an der Isar, die hier in die Donau fließt, zu schwach sei. Verstärkt worden sei er nicht. Doch es ist noch nicht die Zeit, über Schuldige zu sprechen.
Josef Gruber kann nicht länger als drei Stunden schlafen. "Und wenn, dann dram’ i vom Wasser", sagt er. Seine Hände zittern. Der Schlosser freut sich auf die Nachtschicht. "Die Arbeit lenkt mich wenigstens für Stunden ab."
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