Muss der Bombenleger von Boston wirklich hingerichtet werden?
Der Bombenleger erhielt die Todesstrafe. Das Urteil wurde erwartet, dennoch wirkt es wie ein Schock. Selbst die Eltern des jüngsten Attentats-Opfers sind gegen die Hinrichtung
Casey Sherman hatte es kommen sehen. „Nein, er tut sich keinen Gefallen damit“, hatte er in einer Pause kommentiert, im Korridor vor dem Saal 9 des John-Joseph-Moakley-Gerichts, in dem gegen Dschochar Zarnajew verhandelt wurde. Der Bombenleger vom Boston-Marathon, bei dem es drei Tote und 260 Verletzte gegeben hatte, zeigte während des Prozesses nicht die geringste Spur von Interesse, Bedauern oder Reue.
Sherman, der in dem Buch „Boston Strong“ die Geschichten der Opfer des schwersten Anschlags in den USA seit dem Terror vom 11. September 2001 erzählt, mutmaßte: Die Jury werde wohl für die Höchststrafe plädieren.
So kam es dann auch am vergangenen Freitag. Das Todesurteil gegen den 21-jährigen Zarnajew war erwartet worden, und doch wirkt es auf viele wie ein Schock. Gerade in Boston, das sich seit jeher als tolerante Bildungsmetropole der Vereinigten Staaten versteht, als eine Art progressiver Leuchtturm für den Rest des Landes. Da ist der akademische Olymp namens Harvard, da sind die Kennedys mit ihrem Eintreten für die Schwachen. Seit 1947 wurde im US-Bundesstaat Massachusetts niemand mehr hingerichtet, 1984 wurde die Todesstrafe endgültig abgeschafft. Im Falle Zarnajews konnte sie nur verhängt werden, weil der Bund das Verfahren führte.
Als die Zeitung Boston Globe im April eine Umfrage in Auftrag gab, war nur knapp ein Sechstel der Bewohner dafür, in diesem Fall die Exekution zu erwägen. Im US-Durchschnitt hielt es dagegen eine 60-Prozent-Mehrheit für angemessen, Zarnajew Gift in die Venen zu spritzen.
Auch Bill und Denise Richard sind gegen seine Hinrichtung. Sie sind die Eltern des achtjährigen Martin, der im April 2013 noch an der Marathonstrecke starb, als ein mit Sprengstoff und Nägeln gefüllter Schnellkochtopf in die Luft ging. Es war die zweite Bombe, die Dschochars älterer Bruder Tamerlan explodieren ließ. Der Jüngere hatte den Sprengsatz, getarnt in einem Rucksack, vor dem Restaurant „Forum“ abgestellt und vier Minuten gewartet, bevor er ihn zündete. Ihm muss klargewesen sein, dass direkt vor ihm Kinder standen, erklärte die Staatsanwaltschaft.
Niemand konnte seinen Sohn retten
Bill Richard beschrieb, vor welch einer furchtbaren Wahl er damals stand: Seinen Sohn habe niemand mehr retten können, also habe er sich nach verzweifelten Versuchen allein Jane zugewandt, seiner Tochter, der die Bombe ein Bein abgerissen hatte. Und dennoch: Es wäre besser, würde der Angeklagte den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen, schrieben er und seine Frau in einem offenen Brief. Ein Todesurteil ziehe ein Berufungsverfahren nach sich, es bedeute einen quälend langen Weg durch die Instanzen. „In dem Moment, in dem Zarnajew aus unseren Zeitungen und von unseren Bildschirmen verschwindet, können wir anfangen, unser Leben und unsere Familie wieder aufzubauen.“
In Boston wird nun über die Frage diskutiert: Wenn selbst die Richards eine Hinrichtung für falsch halten, wieso halten die Geschworenen sie für richtig? Philosophisch passe das eher zum Rachereflex des „Auge um Auge“, statt sich an der Devise „Leben retten um jeden Preis“ zu orientieren, schrieb Kevin Cullen, der populärste Kolumnist Bostons.
Nicht alle sehen es freilich so. Michael Ward, ein Feuerwehrmann, der als einer der Ersten zum Anschlagsort eilte, sagte: „Zarnajew wäre sowieso zur Hölle gefahren, und so wird er noch früher ankommen.“
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