Starke Marken aus dem Osten
Nur wenige DDR-Produkte haben die Wende überlebt – und noch weniger den Sprung in die westdeutschen Supermärkte geschafft. Eine kleine Warenkunde.
Über die Vergangenheit möchte man in Freyburg dieser Tage nicht sprechen. Vielleicht zieht man es aber vor, an diesem Wochenende in dem Winzerstädtchen in Sachsen-Anhalt anzustoßen. Auf eine prickelnde Geschichte. Auf eine unternehmerische Erfolgsstory, die in einer kleinen ostdeutschen Sektkellerei ihren Anfang genommen hat – und aus der die Nummer Eins im bundesdeutschen Sektgeschäft geworden ist. Auf den Mauerfall, der für Rotkäppchen Tief- und Wendepunkt zugleich war.
Um die Geschichte zu verstehen, muss man ein paar Jahre zurückgehen. In Zeiten der DDR, als Rotkäppchen teure Bückware war. Ein Produkt, das normalerweise unter dem Ladentisch blieb und das nur bekam, wer Beziehungen hatte. Die Einheit veränderte alles. Die Ostdeutschen griffen lieber zur Prickelbrause aus dem Westen, den Sekt aus der Heimat wollte kaum noch jemand. Der Absatz rutschte ins Minus, Rotkäppchen drohte die Pleite.
Wenige Firmen aus dem Osten setzen auf Marketing
Dass es anders kam, hat das Unternehmen Gunter Heise zu verdanken. Der technische Leiter setzte zusammen mit weiteren leitenden Angestellten auf Risiko – und kaufte den maroden Staatsbetrieb von der Treuhand. Die Familie Eckes stieg als Gesellschafter mit ins Boot.
Zäh und beharrlich kämpfte sich Rotkäppchen zurück in die Regale der Supermärkte, schluckte 2002 die Westmarken Mumm, Jules Mumm und MM Extra, ein Jahr später die Edelmarke Geldermann. 2006 war die Spirituosensparte von Eckes an der Reihe, 2009 kam die Weinmarke Blanchet hinzu.
Für Sören Schiller, der das Institut für angewandte Marketing- und Kommunikationsforschung in Erfurt führt, ist Rotkäppchen eine Ausnahme: eine Firma aus dem Osten, die früh auf Marketing gesetzt hat, die später West-Konkurrenten aufkaufte. Und zugleich die einzige ehemalige Ostmarke, die bundesweit erfolgreich und eigenständig geblieben ist. Schiller sagt: „Rotkäppchen hat seine Identität bewahrt und ist sich treu geblieben.“
Marken aus der DDR landen selten im Westen
Nur wenige Markenartikel aus der ehemaligen DDR haben sich ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall einen Stammplatz im Einkaufswagen der westdeutschen Verbraucher gesichert. Spee-Waschmittel gehört dazu, ebenso Florena-Creme oder Gurken aus dem Spreewald. Und dann die Biersorten, die man auch hier kennt: Radeberger, Hasseröder, Köstritzer und Wernesgrüner. Aber wer kennt im Westen schon Rondo Kaffee oder Bodeta Bonbons? Badusan Schaumbad oder Koivo Rasierschaum? Der Großteil dieser Ostprodukte ist verschwunden, wie auch eine Studie der Empirischen Gesellschaftsforschung in Hamburg belegt. Von geschätzt mehr als 700 DDR-Marken haben demnach lediglich 120 überlebt.
Das liegt auch daran, dass ein Großteil der Hersteller nach der Wende schlecht aufgestellt war, sagt Markenforscher Schiller. Wettbewerb gab es kaum und damit auch keinen Grund für Marketing oder Innovationen. „Viele sind dem Reiz erlegen, für den Handel große Chargen zu produzieren und haben darüber ihre eigenen Marken vernachlässigt.“ Wer Billigmarken für Supermärkte produzierte, verdiente zwar schnelles Geld, wurde aber schnell austauschbar, erklärt Schiller. Bestehen konnte im bundesdeutschen Markt folglich nur, wer langfristig dachte. „Eine Marke muss erkennbar bleiben und ihren Charakter erhalten“, sagt Schiller.
Manche Ost-Produkte sind heute Kult
Das dürfte wohl jenen Produkten gelungen sein, die mittlerweile Kult sind: Vita Cola etwa, die Quarkspeise Leckermäulchen oder Nudossi, „das Nutella-Gegengewicht des Ostens“, wie es Schiller nennt. Seiner Meinung nach hat sich das Image der Ostprodukte längst geändert. „Ostmarke ist nicht mehr Billigmarke“, sagt er. Vielmehr würden die Produkte heute als kultig, sympathisch und ehrlich wahrgenommen.
Vor einem aber warnt Schiller die Hersteller: nämlich nur auf den „Ostnimbus“ zu setzen.„Das ist gefährlich. Denn irgendwann sterben die Nutzer weg, die sich mit dem Produkt identifizieren.“ Der Impuls, Ostprodukte der Nostalgie wegen zu kaufen, sei bei der jüngeren Generation bei Weitem nicht mehr so ausgeprägt. Und Erfolgsgeschichten wie die von Rotkäppchen gibt es eben selten.
Die Diskussion ist geschlossen.