Aktivist Chen Chuacheng: Menschenrechte sind etwas Intuitives
Der Aktivist Chen Guacheng wartet nach der Flucht aus dem Hausarrest weiter auf die Ausreisegenehmigung. Er will sein Heimatland China in Richtung USA verlassen.
In der Leitung rauscht es, immer wieder bricht die Verbindung ab, aber der chinesische Bürgerrechtler Chen Guangcheng ist an dem geheimen Ort, wo er sich mit seiner Frau und den beiden Kindern aufhält, telefonisch erreichbar. Im Interview mit unserer Zeitung gibt sich der 40-Jährige optimistisch, bald in die USA reisen zu dürfen.
Herr Chen, wie geht es Ihnen?
Chen Guangcheng: Ich befinde mich noch in ärztlicher Behandlung. Mein Fuß ist im Gips, und ich kann mich schlecht fortbewegen, und ich habe noch einige andere gesundheitlicheProbleme. Die Untersuchungen sind hoffentlich bald abgeschlossen.
Ist Ihre Familie bei Ihnen?
Chen: Ja. Aber leider weiß ich nicht, wie es meinen Verwandten in Shandong geht. Ich mache mir große Sorgen. Ich habe gehört, dass mein Neffe festgenommen wurde, aber genauere Informationen habe ich nicht. Die Regierung hat gesagt, dass sie die Verfolgung unserer Familie beenden wird und dass sie das Unrecht, das uns in Shandong angetan wurde, untersuchen will. Aber ich weiß nicht, ob sie damit schon angefangen haben.
Stimmt es, dass weder Ihre Freunde noch die Mitarbeiter der US-Botschaft Sie besuchen dürfen?
Chen: Ja.
Wer verhindert das?
Chen: Das weiß ich nicht.
Chinas Regierung hat versprochen, dass Sie zum Studium in die USA reisen dürfen. Glauben Sie, dass Peking seine Zusage einhalten wird?
Chen: Ich bin zuversichtlich, dass sich die Situation, so wie sie jetzt in der Öffentlichkeit steht, nicht mehr rückgängig machen lässt. Mich hat ein Beamter besucht und mir gesagt: Mach dir keine Sorgen, die Zentralregierung hat bestimmt, dass es bei deiner Passausstellung keine Probleme geben soll. Alles ist in Arbeit.
Glauben Sie, dass man Ihnen erlauben wird, in Ihre Heimat zurückzukehren?
Chen: Davon gehe ich aus. Das ist schließlich nichts anderes als die Sicherstellung meiner Menschenrechte. Unsere Verfassung garantiert jedem Chinesen Bürgerrechte und Freiheit.
Zumindest auf dem Papier. Steht hinter Pekings Zustimmung zu Ihrer Ausreise nicht das Kalkül, dass die Weltöffentlichkeit sich nicht mehr für Ihren Fall interessieren wird, sobald Sie nicht mehr in China sind?
Chen: Darüber weiß ich nichts.
Würden Sie denn auch in Zukunft in China als Menschenrechtsaktivist arbeiten wollen?
Chen: Natürlich. Die Menschenrechte sind etwas Intuitives. So wie ein Mensch ausweicht, wenn jemand ihn zu schlagen versucht, so sehnt er sich auch nach der Einhaltung seiner Rechte. Ich bin mir übrigens sicher, dass auch die Regierung wissen will, welche Probleme es in China gibt. Um sie zu lösen, führt an der Einhaltung der Menschenrechte kein Weg vorbei.
Welchen Einfluss hat Ihr Fall auf andere Menschenrechtsaktivisten?
Chen: Darauf kann ich nicht antworten, denn im Moment bin ich schlecht informiert. Ich bekomme ja keine Nachrichten von außen und darf nicht das Internet benutzen.
Dann bekommen Sie auch nicht mit, dass in den chinesischen Medien eine Diffamierungskampagne läuft?
Chen: Nein, ich kann diese Artikel nicht lesen. Grundsätzlich glaube ich schon, dass die Zentralregierung etwas Gutes bewirken will. Aber manche Menschen denken noch immer wie in der Kulturrevolution.
In der „Global Times“ behauptet ein Autor namens Sima Pingbang, dass er Sie im Hausarrest besucht habe und Zeuge geworden sei, wie Sie Ihr ganzes Dorf erpresst haben sollen.
Chen: Was daran stimmt, ist, dass er am 19. Dezember 2011 bei mir war. Allerdings hat er sich nicht vorgestellt, seinen Namen weiß ich nur, weil seine Begleiter ihn mit „Herr Sima“ angesprochen haben. Er hat meine damalige Situation gesehen und meine Erzählungen gehört, aber er zeigte keinerlei Mitleid. Er hat sogar über meine Qualen gelacht und mir gesagt: „In China ergeben eins plus eins eben nicht immer zwei.“ Dieser Mensch hat kein Gewissen.
Die Diskussion ist geschlossen.