Andrea Nahles will die Renten-Mauer einreißen
Sozialministerin Nahles möchte die Altersbezüge in Ost und West möglichst rasch angleichen. Das kostet Milliarden und gefällt längst nicht allen in den neuen Ländern.
Andrea Nahles hat ein klares Ziel vor Augen. Ehe Deutschland im Oktober 2020 drei Jahrzehnte deutsche Einheit feiert, soll eine der letzten politischen Trennlinien verschwunden sein – die unterschiedliche Berechnung der Renten in West und Ost. Für ihre „Renteneinheit“ will die Sozialministerin von der SPD innerhalb von drei Jahren fast acht Milliarden Euro ausgeben: „Das ist ein wichtiger Schritt für die innere Einheit unseres Landes.“
Mit der Erhöhung der Renten um 4,25 Prozent in den alten und 5,95 Prozent in den neuen Ländern Anfang des Monats ist der Abstand zwar wieder ein Stück kleiner geworden, bis zum Jahrestag der Einheit im Herbst 2020 aber wird die Lücke ohne politische Hilfe noch nicht geschlossen sein. Deshalb will die Sozialministerin in den Jahren 2018 und 2019 jeweils 1,8 Milliarden Euro und im Jahr 2020 noch einmal 3,9 Milliarden Euro ins System pumpen. 30 Jahre nach Herstellung der Einheit, heißt es in einer Modellskizze aus ihrem Ministerium, sei das „eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Gleichbehandlung“. So wie es ein einheitliches Arbeits- und ein weitgehend vereinheitlichtes Sozialrecht gebe, sei es nun an der Zeit, auch das Rentenrecht zu vereinheitlichen.
Die Löhne in vielen Branchen sind gleich
Im Moment ist ein sogenannter Entgeltpunkt, aus dem sich später die Rente berechnet, in den alten Ländern 30,45 Euro wert, in den neuen dagegen nur 28,66 Euro. Ein Beschäftigter, der 45 Jahre lang immer den statistischen Durchschnittslohn verdient hat, sammelt bis zur Rente für diese 45 Jahre exakt 45 Entgeltpunkte. Verdient er mehr, gibt es mehr Entgeltpunkte, verdient er weniger, sind es entsprechend weniger Punkte. Doch obwohl viele Branchen in Ost und West mittlerweile die gleichen Löhne und Gehälter bezahlen, liegt der statistische Durchschnittsverdienst in den neuen Ländern mit gegenwärtig gut 31.000 Euro noch deutlich unter den mehr als 36.000 Euro in den neuen Bundesländern. Entsprechend niedriger sind deshalb auch die Ost-Renten noch.
Von der geplanten Angleichung würden rund vier Millionen Rentner in Ostdeutschland profitieren, weil ihre Renten im Nahles-Modell bis zum Jahr 2020 deutlich stärker angehoben werden als die im Westen. Rund sechs Millionen Beschäftigte im Osten würden dagegen durch die Reform benachteiligt: Um die Kluft zwischen hüben und drüben nicht zu groß werden zu lassen, rechnet die Rentenversicherung ihre Verdienste bisher mit einem komplizierten Verfahren künstlich hoch – das führt unterm Strich dazu, dass ein Versicherter in Magdeburg mit dem gleichen Einkommen wie ein Kollege in München später auf acht Prozent mehr Rente kommt.
Mit der Renteneinheit endet die Vorzugsbehandlung
Mit der „Renteneinheit“ würde diese Vorzugsbehandlung für Ost-Beschäftigte im Jahr 2020 komplett wegfallen – was die ersten Abgeordneten aus den neuen Ländern bereits auf die Barrikaden treibt. Der Gesetzentwurf der Ministerin, droht der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Arnold Vaatz, in der Sächsischen Zeitung, „kommt bis auf Weiteres nicht ins Kabinett.“ Andrea Nahles selbst räumt zwar „Ambivalenzen“ ein, was nichts anderes bedeutet, als dass ihre Reform die nächste Generation der Ost-Rentner Geld kostet. Gleichzeitig aber sagt sie auch: „Die größte Ungerechtigkeit ist es auf Dauer gesehen, wenn es unterschiedliches Rentenrecht in Ost und West gibt.“
In ihrem Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, bis zum Jahr 2020 die virtuelle Mauer einzureißen, die Deutschland bei der Rente noch immer teilt, und endlich gleiches Recht für alle herzustellen – dieses Ziel allerdings fand sich auch schon in früheren Koalitionsverträgen, ohne dass es eine Regierung wirklich verfolgt hätte.
Wie kompliziert das alles ist, zeigt bereits der Name des Gesetzes, das Andrea Nahles jetzt auf den Weg durch die politischen Instanzen schickt: „Rentenüberleitungsabschlussgesetz.“
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