China im Kampf gegen „feindliche Mächte“
Geheime Dokumente zeigen, wie sehr Chinas Führung die Ausbreitung westlicher Ideen fürchtet. Der Staatsapparat soll zu einer Festung gegen Kritik und Meinungsfreiheit ausgebaut werden.
Über die größten Probleme spricht man am besten im kleinsten Kreis: In der eleganten Liebermann-Villa am Wannsee wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel und der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao am Montagabend speisen, begleitet nur von einer Handvoll enger Vertrauter. Themen, bei denen offene Worte nottun, gibt es reichlich, von den Menschenrechten über Wirtschaftsstreitigkeiten bis hin zum Klimaschutz oder der Reform des globalen Finanzsystems.
Doch wie offen Wen mit Merkel über Chinas Positionen und Pläne reden kann, ist fraglich. Denn auch in Peking werden die wichtigsten Fragen nur im innersten Führungszirkel diskutiert, und viele der dort vertretenen Ansichten sind keineswegs für die Öffentlichkeit bestimmt. So etwa der Inhalt des Kommuniqués, welches das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei am 5. März verschickte: „Feindliche Kräfte in- und außerhalb Chinas versuchen, uns zu Veränderungen zu drängen“, heißt es darin. „Sie versuchen mit allen Mitteln, unsere Entwicklung zu behindern, unserem Image zu schaden und unsere Ideologie und Kultur zu infiltrieren. Sie wollen uns drängen, westliche Werte und das westliche politische System zu akzeptieren.“
Chinas Feinde würden „immer stärker, immer professioneller, immer brutaler, immer besser organisiert und technisch immer versierter“, warnt die Führung weiter und fordert, den Kampf gegen negative Einflüsse auf allen Ebenen zu verstärken, „um die Machtbasis der Partei zu sichern“. Es folgen mehrere Seiten voller detaillierter Anweisungen, die mit dem Vermerk „GEHEIM“ an die 7.300 wichtigsten Kader des Landes verschickt wurden. Auf jedes Exemplar waren Seriennummern und Strich-Codes gedruckt, um die Empfänger persönlich für die Geheimhaltung haftbar machen zu können. Der Verrat von Staatsgeheimnissen wird in China mit dem Tod bestraft.
Redaktionen und Internetforen sollen streng kontrolliert werden
Aber nun wird der Inhalt des Geheimpapiers doch bekannt. Zwei ausländische Journalisten, der Korrespondent dieser Zeitung und ein Kollege der dänischen „Information“, erhielten Einblick in eine Reihe von internen Dokumenten mit brisanten Informationen. Sie zeigen, wie sehr die Parteispitze die Ausbreitung vermeintlich „westlicher“ Ideen wie Demokratie, Menschenrechte oder Meinungsfreiheit fürchtet und mit welchen Methoden sie den Staatsapparat zu einem Bollwerk gegen Kritiker und Andersdenkende auszubauen versucht. „Die Ausbreitung von gefährlichen Informationen oder illegalen politischen Veröffentlichungen zu verhindern, ist unsere wichtigste Aufgabe“, mahnt die Parteispitze in dem Papier.
Es gehe darum, heißt es ganz unverblümt, das Informationsmonopol zu sichern. „Alle illegalen und gefährlichen Informationen von chinesischen und ausländischen Internetseiten müssen vollständig blockiert und gelöscht werden“, heißt es in einem Papier aus dem Propagandaministerium. „Die Überwachungsmethoden müssen verbessert und alle illegalen Verbreitungsmöglichkeiten rechtzeitig erkannt werden.“
In einer landesweiten Kampagne sollen bis Ende des Jahres alle Verlage, Redaktionen, Druckereien und Internetbetreiber überprüft und ihre Mitarbeiter für heikle Inhalte sensibilisiert werden. Selbst in Online-Shops soll kontrolliert werden, ob zwischen den Kaufangeboten illegale Texte oder Bilder versteckt sind. Zollbeamte müssen verstärkt nach verbotenen Büchern und Zeitschriften suchen. „Als gefährliche Informationen oder illegale politische Veröffentlichungen gelten alle Inhalte, die aggressive Informationen über die Kommunistische Partei, die Parteiführung, das sozialistische System, unsere Gesetze oder Medien verbreiten oder ein anderes politisches System unterstützen“, lautet die offizielle Definition.
Als „besonders gefährlich “ werden Informationen über Ämterbesetzungen und „Gerüchte über interne Kämpfe in der Partei“ eingestuft, ebenso „Ideen zu Reformen des politischen Systems“. Für überführte Verbrecher gelte in allen Fällen die Devise: „Schnell anklagen, schnell verurteilen und schnell ausschalten, um mögliche Nachahmer abzuschrecken und die Zustimmung des Volkes zu gewinnen.“
Die Beeinflussung der öffentlichen Meinung ist die zweite große Aufgabe, vor der die Partei sich sieht. Das Zentralkomitee gibt detaillierte Instruktionen, mit welchen Mitteln die chinesische Bevölkerung auf Linie gebracht werden soll. Auf allen Kanälen, von klassischen Medien über das Internet bis zum Handy, sollen politisch korrekte Fakten über Chinas Geschichte und Gegenwart verbreitet werden. Staatliche und private Einrichtungen sind gleichermaßen angehalten, Vorträge und Diskussionsveranstaltungen abzuhalten, das Singen von Parteiliedern zu fördern oder Wettbewerbe im Schreiben von patriotischen Aufsätzen zu veranstalten (Themenvorschlag: „Wie werde ich ein moralischer Mensch“).
Die ideologische Bildung soll aber keinesfalls nur bei der Arbeit, sondern auch in der Freizeit gefördert werden, etwa durch sogenannte „Rote Reisen“ an die berühmten Orte der Revolution. „Das ist etwas, das den Menschen Freude bereitet“, schreibt die Parteiführung in den Anweisungen für die lokalen Parteikader.
Größte Gefahr soll von Studenten ausgehen
Besonders im Fokus der Partei stehen auch Chinas Studenten. Von ihnen geht nach Ansicht der Führung die größte Gefahr für Angriffe auf ihre Autorität aus. Deshalb soll die Überwachung von Vorlesungen, Diskussionsveranstaltungen und Internetforen verstärkt und die „ideologische und politische Ausbildung “ intensiviert werden.
Die geheimen Dokumente bestätigen Trends, die chinesische Regimekritiker und internationale Beobachter seit langem beschreiben: Einerseits nehmen die Zensur von Medien und Internet sowie die Repressalien gegenüber Andersdenkenden stetig zu, andererseits soll die umfassendste Propagandakampagne seit vielen Jahren das Volk auf Linie bringen.
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