Der „Schlächter vom Balkan“ kommt vor Gericht
Der wegen schlimmster Kriegsverbrechen gesuchte Serben-General Ratko Mladic versteckte sich zuletzt bei Verwandten auf einem Bauernhof . Viele vermuten, dass der 69-Jährige lange von offiziellen Stellen gedeckt wurde. Landsleute verehren den mutmaßlichen Massenmörder bis heute
Belgrad Als die ersten Fahrzeuge des Geheimdienstes und der Spezialpolizei um 6 Uhr früh im Dorf Lazarevo bei Zrenjanin auftauchten, war selbst der Bürgermeister überrascht. Auch der von seinen Landsleuten immer noch hoch geschätzte und seit Jahren als Kriegsverbrecher gesuchte Ratko Mladic war offenbar ahnungslos und suchte hinter seiner falschen Identität als „Milorad Komadic“ Schutz. In einem unscheinbaren bäuerlichen Anwesen in der Provinz nahmen die Beamten den 69-Jährigen ohne Gegenwehr fest. Er hatte bei einem Verwandten Unterschlupf gefunden. Die immer befürchtete Schießerei der Leibgarde um Mladic und das von ihm angedrohte Blutbad gab es nicht.
Der Unterschlupf auf dem bescheidenen Bauernhof mit dem rostigen Eingangstor wirkt überraschend armselig. Fast 16 Jahre lang war der mutmaßliche Kriegsverbrecher auf der Flucht und hatte die internationale Gemeinschaft vorgeführt. Der als „Schlächter vom Balkan“ bekannte frühere Chef der bosnisch-serbischen Armee wird sich nun vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien in Den Haag wegen seiner Rolle bei der Ermordung Tausender Zivilisten während des Bosnien-Krieges verantworten müssen. Unauslöschlich ist sein Name mit dem Massaker von Srebrenica verbunden, bei dem bosnische Serben mehr als 8000 moslemische Jungen und Männer ermordet hatten.
Doch Mladic gilt nicht nur als mutmaßlicher Chefplaner dieses schlimmsten Kriegsverbrechens in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Der bullige General wird auch verantwortlich für die dreieinhalb Jahre andauernde Belagerung von Sarajevo mit weiteren 10000 Toten gemacht. Gleiches gilt für die „ethnische Säuberungen“ genannten Vertreibungen Hunderttausender, Gräueln in Internierungslagern sowie der Befehl zu massenhaften Vergewaltigungen.
Als General richtete sich Mladics offener Hass vor allem gegen Muslime. Sie „spießen Serben auf, verbrennen sie bei lebendigem Leibe, kreuzigen sie und stechen ihnen die Augen aus“, wurde er einmal zitiert. Mladic handelte stets im Namen eines „Groß-Serbien“ – und machte sich beim früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic beliebt. Im Mai 1992 stieg Mladic zum Armeechef der bosnischen Serben auf, plante die Eroberung Bosniens mit seinem – inzwischen in Den Haag einsitzenden – Chef Radovan Karadzic. Sein Credo lautete: „Niemals würde ich den Rückzug befehlen“ – auch wenn eine Million Opfer zu beklagen wären. Von seinen Soldaten wurde der General als begnadeter Stratege bewundert.
Doch vielen Serben gilt der 69-Jährige damals wie heute als ein Held. Bei einer Umfrage sprachen sich kürzlich noch 51 Prozent der Bürger gegen seine Verhaftung aus. Nicht nur im Ausland herrschte der Verdacht, die serbische Regierung und die Behörden hätten zu wenig für eine Ergreifung des mutmaßlichen Massenmörders getan. Die Europäische Union hatte Belgrad deshalb Milliarden Euro Hilfsgelder verwehrt. „Es bleibt der Eindruck, dass die Regierung in Serbien die ganze Zeit wusste, wo er sich versteckt“, sagt der serbische Publizist Zoran Dragis. „Und als jetzt die EU-Kandidatur bedroht war, musste man Mladic schnell aufspüren.“
Staatschef Boris Tadic forderte gleich gestern die EU-Kandidatur seines Landes ein. Weil seine DS-Partei – einst stärkste Kraft im Land – dramatisch an Zustimmung verloren hat, benötigt er einen Trumpf vor den Parlamentswahlen im Frühjahr. Eine absehbare EU-Mitgliedschaft könnte angesichts der darniederliegendenWirtschaftundsteigender Arbeitslosigkeit einen Trumpf darstellen, der schwerer wiegt als der Unmut vieler Serben, die Mladics Festnahme als eine Art Verrat betrachten. Thomas Brey, dpa und Katarina Subasic, afp
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