Gianis Varoufakis: Der Spieler hat sich verzockt
Gianis Varoufakis wählt den theatralischen Abgang. Wollte er wirklich das Beste für die Griechen, oder ging es ihm um etwas ganz anderes?
Hatte er das vielleicht von Anfang an genau so geplant? Gianis Varoufakis tritt zurück und er tut es so, wie er alles macht: mit ganz großem Ego. In seinen 161 turbulenten Tagen als Finanzminister ging es ihm mehr um Inszenierung als um Inhalte. Als Brandstifter unter all den Biedermännern. Als Alternative für Griechenland. Er treibt seine europäischen Kollegen in den Wahnsinn. Er liefert Bilder und Geschichten und wir Journalisten stürzen uns darauf. Jetzt verlässt der Hauptdarsteller des griechischen Dramas die große Bühne. Der Vorhang fällt und zwischen Buhrufen und Schlussapplaus bleibt die Frage, ob das tatsächlich alles nur Show war.
Großes Theater: Wo Varoufakis ist, ist Streit
Gianis Varoufakis ist ein hochintelligenter Mann, daran zweifeln selbst seine schärfsten Kritiker nicht. Wäre er darüber hinaus auch noch ein kluger Mann, hätte er die Geldgeber möglicherweise sogar dazu bringen können, den Griechen einen Teil ihrer Schulden zu erlassen und das Spardiktat zu lockern. Schließlich ist der Wirtschaftsprofessor nicht alleine, wenn er sagt, sein Land werde dazu gezwungen, sich tot zu sparen.
Als er Ende Januar sein Amt antritt, könnte er also nach pragmatischen Lösungen suchen. Er könnte einsehen, dass Politik immer Kompromisse braucht. Doch der 54-Jährige wählt die brachiale Variante. Varoufakis kommt mit Motorrad statt mit Krawatte. Das allein wäre keine Erwähnung wert, stünde es nicht so beispielhaft für seinen Politikstil. Er provoziert den Eklat und ergötzt sich dann daran, wenn den Anzugträgern die Kinnlade runterfällt. Wo er ist, ist Streit. Er nutzt die Macht der Bilder. Wo er hinkommt, blitzen die Kameras. Großes Theater.
Das Problem an der Sache: Varoufakis spielt den unkonventionellen Anarchisten nicht nur, er ist einer. Unkontrollierbar und – was noch schlimmer ist – unkontrolliert. Er weiß, dass er auf Hilfe angewiesen ist, wenn er Griechenland vor dem Bankrott retten will, und brüskiert doch unentwegt ausgerechnet jene Partner, die ihm helfen sollen. Als erste Amtshandlung schmeißt er die Experten, die im Sinne der Geldgeber die griechischen Reformen überwachen sollen, aus dem Land. Und als dem konsternierten Eurogruppen-Chef daraufhin der Satz „Sie haben gerade die Troika gekillt“ entfährt, lehnt er sich genüsslich zurück. Euch allen werde ich es noch zeigen, sagt seine Körpersprache. Nur nichts gefallen lassen. Vermutlich ist er so erzogen worden. Sein Vater war Kommunist, seine Mutter kämpfte für Frauenrechte.
Varoufakis sieht sich als Mann von Welt
All die schicksalhaften Verhandlungsnächte seit dem Wahlsieg der linksradikalen Syriza macht Varoufakis zu seiner Bühne. Wenn er mal nicht genau weiß, worum es geht, doziert er eben über wirtschaftliche Theorien und politische Visionen. Er gefällt sich in der Rolle als Mann von Welt. In England studiert. An Hochschulen in Texas, Glasgow und Sydney gelehrt. In zweiter Ehe mit einer renommierten Künstlerin verheiratet. Griechischer und australischer Staatsbürger. Internetblogger. Die halbe Welt bereist.
Dass er den Gesprächspartnern mit seiner Theatralik auf die Nerven geht, empfindet er geradezu als Auszeichnung. Doch selbst das wäre alles noch zu verschmerzen, wenn es diesem Mann tatsächlich um die Menschen in Griechenland ginge. Und das bringt uns zurück zur Frage: Hatte Varoufakis einen Masterplan? Stachelte er seine Landsleute bewusst auf, um den Druck auf Europa zu erhöhen? Steckte hinter der Show eine ausgeklügelte Strategie? Ging es ihm tatsächlich darum, das Beste für sein Land herauszuholen? Und ist sein heroischer Abgang nur ein weiterer ausgetüftelter Schachzug in diesem Spiel? Nach einem halben Jahr mit diesem ohne Zweifel grandiosen Selbstdarsteller muss man wohl eher zur Erkenntnis kommen, dass er von etwas anderem getrieben ist: von seinem Ego.
Varoufakis: „Ich werde die Abscheu der Kreditgeber mit Stolz ertragen."
Varoufakis hat sich als Ökonom ausgiebig mit der Spieltheorie beschäftigt. Die Idee ist schlüssig: Wirtschaftlicher Erfolg hängt nicht nur vom eigenen Tun, sondern auch von den Reaktionen anderer ab. Also taktiert, spekuliert und blufft der Spieler im griechischen Finanzministerium und wartet dann ab, was die anderen tun. Und wenn ihm das nicht passt, geht es eben in die nächste Runde.
Er liebt das Spiel mehr als das Gewinnen. Und er nimmt in Kauf, dass er sich am Ende verzockt. Sein Verhältnis zu den Geldgebern ist derart vergiftet, dass neue Verhandlungen nur ohne ihn möglich sind. Das weiß sein Chef Alexis Tsipras. Das weiß er selbst. Als er die Partner am Ende auch noch mit Terroristen vergleicht, überreizt er sein letztes Blatt. Doch sogar sein politisches Ende inszeniert er noch als heldenhafte Leistung: „Ich werde die Abscheu der Kreditgeber mit Stolz ertragen.“
Was bleibt, sind Fragen: Hat Varoufakis mit seinem Ego-Trip den Weg zu einem Neuanfang geebnet? Hatte er das alles vielleicht von Anfang an genau so geplant? Wohl kaum. Schon eher war das alles für ihn ein großes Spiel. Die Menschen in Griechenland haben mitgespielt – doch traurigerweise hatten sie mehr zu verlieren als er.
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