Katholikentag: Kirche übt scharfe Selbstkritik
Jesuitenpater Klaus Mertes wirft Bischöfen vor, die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen. Reformgruppen rufen Laien zu Selbstständigkeit und Konfrontation auf.
180.000 Katholiken sind im Krisenjahr 2010 aus ihrer Kirche ausgetreten. Und viele, die noch drin blieben, gingen ins innere Exil. „Die katholische Kirche in Deutschland befindet sich in einer tiefen Vertrauenskrise“, stellte der Jesuitenpater Klaus Mertes auf einer Podiumsdiskussion zum 98. Deutschen Katholikentag in Mannheim fest. Das Misstrauen nehme zu, vor allem seitens der Kirchenleitung, sagte der ehemalige Leiter des Berliner Canisiuskollegs, der die Aufdeckung des Missbrauchsskandals angestoßen hatte. Mertes nannte Auftrittsverbote von verdienten Katholiken (wie das von Hans Maier im Augsburger Haus St. Ulrich), er sprach vom unheilvollen Wirken informeller Netzwerke und von einer „einschüchternden Hasssprache“.
Jesuit Mertes: Anstelle der Wahrheit werde der falsche Schein gewahrt
Das Podium stand unter dem Motto „Auftreten statt austreten“. Vor der Halle hörten weitere hundert Besucher zu, die nicht mehr eingelassen wurden. Die Rede von Mertes wurde immer wieder von Beifall begleitet. Der Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki hörte dagegen mehrmals Murren aus dem Publikum.
Der Jesuit Mertes, heute Schulleiter in St. Blasien im Schwarzwald, forderte die Bischöfe dazu auf, Vertrauen „immer wieder neu und grundlos zu schenken“. Scharf kritisierte er, dass anstelle der Wahrheit der falsche Schein gewahrt werde. Mertes: „Da redet einer von Dienst, aber liebt die Macht, da spricht einer von der Liebe Gottes zu den Sündern, aber verschließt ihnen die Tür.“ Der Missstand werde entweder zynisch bestätigt („Wir brauchen endlich wieder gute Nachrichten“) oder aber der Schein werde für das echte Sein gehalten („Ich schwimme hier als Letzter gegen den Strom, alle anderen verraten das Evangelium“). Darin steckt für Mertes „eine tiefe innere Gefährdung der Kirche“.
Kirchenkritiker Hengsbach: Es fehlt eine profilierte Botschaft und inhaltliche Orientierung
Den Berliner Kardinal Woelki lobte die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) dafür, dass er vor dem Papstbesuch das Gespräch suchte mit dem Lesben- und Schwulenverband. Ein wichtiges Zeichen gegen Diskriminierung sei dies gewesen, sagte Fischer. Auf die Publikumsfrage, ob es auch in der katholischen Kirche einen Mauerfall wie 1989 in Berlin geben werde, sagte Woelki, es sei notwendig, „dass alle Mauern fallen, die uns von Jesus Christus trennen“. Die Menschen hätten keine Angst voreinander, wenn sie im Gegenüber Jesus selbst erkennen.
Im Alternativprogramm kirchenkritischer Reformgruppen am Rande des Katholikentags ging der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach aus Ludwigshafen mit dem Motto „Einen neuen Aufbruch wagen“ hart ins Gericht. „Es fehlt eine profilierte Botschaft und inhaltliche Orientierung aus dem Projekt der Gottesherrschaft, die Jesus und die Seinen leben“, erklärte Hengsbach. Von den Laien – allen Getauften und Gefirmten – verlangte er, sich „selbstständig“ zu machen. Ihr Verhalten gegenüber den Bischöfen sei unterwürfig. Jetzt helfe nur noch die Konfrontation, „in der Hoffnung, dass den Kirchenleitenden die Knie weich werden“.
Botschafter des Papstes in Deutschland warnt vor Streit in der Kirche - Unfriede mache alles kaputt
Der Botschafter des Papstes in Deutschland, Erzbischof Jean-Claude Perisset, warnte zum Auftakt des Katholikentags vor Streit in der Kirche. Ein solcher Unfriede mache „alles kaputt“ und „wäre der Beginn einer Revolution“, sagte Perisset im Mannheimer Schloss bei einem Empfang der Konrad-Adenauer-Stiftung. Perisset erklärte, das Motto des Katholikentags „Einen neuen Aufbruch wagen“ müsse theologisch verstanden werden. Es müsse ein Aufbruch im Glauben sein. Hilfreich dabei seien die Reden des Papstes, die er im vergangenen Jahr in Deutschland gehalten habe, sagte der Apostolische Nuntius. Er mahnte insbesondere die Politik, auf Grundlage der katholischen Soziallehre zu wirken. AZ
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