Kommentar: Der Völkermord im Irak muss gestoppt werden
Auch Deutschland muss den von der Terrormiliz IS bedrohten Menschen im Irak helfen. Aber warum nicht als Spezialist für nichtmilitärische Hilfe, meint unser Autor.
Wenn ein Völkermord droht, darf die Weltgemeinschaft nicht wegsehen. Das hat sich spätestens 1994 fest in das globale Gewissen eingebrannt. Vor 20 Jahren ereignete sich in Afrika ein unfassbares Verbrechen. Im ostafrikanischen Ruanda begannen Angehörige der Hutu-Mehrheit, die Tutsi-Minderheit zu massakrieren. Niemand half den Opfern. Die Vereinten Nationen reduzierten sogar ihre bereits im Land stationierte Friedenstruppe. Am Ende verloren bis zu eine Million Menschen ihr Leben. Dieser Völkermord war und ist eine Schande für die Weltgemeinschaft.
Im Irak droht heute wieder ein Völkermord
Heute droht wieder ein Völkermord. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) versucht, religiöse Minderheiten im Norden des Irak auszulöschen. Die Dschihadisten töten, foltern und vertreiben alle, die sich ihnen nicht bedingungslos unterwerfen. Die kurdische Religionsgemeinschaft der Jesiden befindet sich in höchster Not. Aber auch Christen und Muslime müssen um ihr Leben bangen.
Das Wegsehen der Welt wie in Ruanda nicht wiederholen
Der Fehler, den die Welt 1994 im Fall Ruanda beging, darf sich im Nordirak nicht wiederholen. Wer helfen kann, muss helfen. Wobei Hilfe in verschiedenen Formen denkbar ist: von der Versorgung der Flüchtlinge im Gebirge mit Wasser und Nahrungsmitteln über die Lieferung von Waffen für die Kurden, die den Bedrängten zu Hilfe kommen, bis hin zu Luftangriffen auf die Aggressoren.
Auch die Aufnahme von Flüchtlingen und Beiträge zur Stabilisierung des fragilen Staates Irak sind Akte praktischer Hilfe. Nicht jeder Staat muss das Gleiche tun.
Die USA tragen eine besondere Verantwortung für den Irak
Das militärische Eingreifen sollte den USA überlassen bleiben. Sie tragen schließlich eine besondere Verantwortung für die Lage im Irak. Ohne den Einmarsch 2003 hätte sich die heutige Situation nicht ergeben. Aber auch US-Präsident Barack Obama will sich nicht in einen neuen Krieg hineinziehen lassen. Er hat nur Luftschläge genehmigt, keine Bodentruppen.
Allerdings ist es zweifelhaft, ob Attacken aus der Luft auf Dauer Erfolg bringen. Möglicherweise konnten die Amerikaner in den vergangenen Tagen verhindern, dass IS-Terroristen die Kurden-Hauptstadt Erbil angriffen. Aber gestoppt haben sie den Vormarsch der Dschihadisten nicht. Deswegen wird jetzt eine Luftbrücke zur Rettung der eingeschlossenen Jesiden immer wahrscheinlicher.
Muss auch Deutschland Waffen an die Kurden schicken?
Die Kurden, die derzeit noch mit wechselndem Kriegsglück gegen die IS-Terrormiliz kämpfen, könnten die Eindringlinge wohl auf Dauer zurückschlagen. Wenn sie bessere Waffen hätten, sagen sie. Washington und Paris rüsten jetzt die kurdischen Peschmerga-Truppen auf. Muss auch Deutschland Waffen schicken? Darüber wird heftig diskutiert. Mitunter sind erstaunliche Töne zu hören. Sogar der sonst so pazifistische Linksfraktionschef Gregor Gysi sagt: „Mit Protestbriefen wird man IS nicht stoppen.“
Aber Solidarität hat viele Gesichter. Auch Bundespräsident Joachim Gauck, der gefordert hatte, die Bundesrepublik solle sich in internationalen Krisen „früher, entschiedener und substanzieller einbringen“, hat dies nicht rein militärisch gemeint.
Vorrang für Schutzwesten und gepanzerte Fahrzeuge
Warum sollte Deutschland – auch wegen seiner Vergangenheit – nicht ziviler Hilfe den Vorrang geben? Und wenn Waffenlieferungen, dann möglichst defensiv? Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen handelt daher richtig, wenn sie erst einmal den Bedarf an Schutzwesten und gepanzerten Transportfahrzeugen prüfen lässt.
Deutschland muss sich auf jeden Fall an der internationalen Solidaritätsaktion beteiligen. Aber nichts spricht dagegen, sich dabei als Spezialist für nichtmilitärische Hilfe zu profilieren.
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