Terror-Experte schließt Befreiungsaktion für entführten Allgäuer aus
Der Kaufbeurer Entwicklungshelfer Eberhard N. wurde in Nigeria entführt. Nun droht die Terror-Sekte Boko Haram damit, ihn zu töten. Wie ein Terror-Experte die Lage einschätzt.
Im Juli wurde der Kaufbeurer Entwicklungshelfer Eberhard N. im Nordosten Nigerias entführt. Seither befindet sich der 69-Jährige offenbar als Geisel in der Gewalt der islamistischen Terror-Gruppe Boko Haram. Die Miliz droht damit, den Allgäuer zu töten. In einem im November aufgetauchten Video sprach ihr Anführer, Abubakar Shekau, von einer Hinrichtung.
Terror-Experte Rolf Tophoven erklärt im Interview, was nun hinter den Kulissen bei den deutschen Sicherheitsbehörden passiert und warum eine militärische Befreiungsaktion so gut wie ausgeschlossen ist.
Herr Tophoven, wie gefährlich schätzen Sie Boko Haram ein?
Tophoven: Boko Haram ist sicherlich die gefährlichste Terror-Gruppe, die es derzeit auf afrikanischem Boden gibt. Sie steht dem IS in seiner Brutalität in nichts nach.
Was wollen Terror-Gruppen wie Boko Haram mit Entführungen von Angehörigen westlicher Staaten erreichen?
Tophoven: Terror-Gruppen wie Boko Haram oder auch der IS wollen durch ihre Brutalität Macht demonstrieren. Konkret geht es um zwei Aspekte: Zum einen um Propaganda. Entführungen, von denen heutzutage ja meist Videobotschaften verbreitet werden, produzieren Schlagzeilen und schaffen Aufmerksamkeit in den Medien. Das Unverständliche ist: Je brutaler die Videos sind, umso mehr Faszination üben sie offenbar auf viele Menschen aus. Zum anderen sind Entführungen natürlich Botschaften an den jeweiligen westlichen Staat. Da steckt auch eine gewisse Taktik dahinter, nämlich herauszufinden: Wie weit geht die jeweilige Regierung?
Das heißt, es geht letztlich auch um Lösegeld?
Tophoven: Es kann um Geld oder um politische Forderungen gehen. Die westlichen Staaten haben hier sehr unterschiedliche Prinzipien. Die USA oder Großbritannien sprechen grundsätzlich nicht mit Terroristen und zahlen auch kein Lösegeld. Israel hingegen geht sehr weit, tauscht oft im großen Stil Gefangene aus. Auch Deutschland fährt da einen weicheren Kurs. Im aktuellen Fall, denke ich, steht für Boko Haram das Finanzielle im Vordergrund.
Beim Auswärtigen Amt heißt es, man "äußere sich nicht zu Einzelheiten in Entführungsfällen". Was passiert derzeit hinter den Kulissen?
Tophoven: Nach einer Entführung im Ausland greifen gewisse Routinen: Im Auswärtigen Amt wird ein Krisenstab eingerichtet, man macht sich ein Bild der politischen Lage vor Ort. Der nächste Schritt ist dann, herauszufinden, was die Entführer wollen. Man muss einen Kontaktmann vor Ort finden, der auch für die Gegenseite glaubwürdig ist. Im aktuellen Fall kann man davon ausgehen, dass erfahrene Beamte von BKA oder GSG9 in der deutschen Botschaft vor Ort sind und Verhandlungen führen.
Wie schätzen Sie die Chancen für eine Freilassung ein?
Tophoven: Man hat es beim IS gesehen, wie unberechenbar diese Gruppen sind. Grundsätzlich kann man nichts ausschließen. Was dennoch für eine Freilassung spricht, ist, dass die deutsche Regierung - obwohl sie sich laut offizieller Sprachregelung natürlich nicht erpressen lässt und nicht mit Terroristen verhandelt - bisher immer wieder einen Weg gefunden hat, solche Situationen elegant zu lösen - und eine Lösegeldübergabe über Dritte zu arrangieren.
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es zu einer Befreiungsaktion kommt?
Tophoven: Ich denke, das kann man vorerst absolut ausschließen. Das nigerianische Militär ist dazu schlichtweg nicht in der Lage. Und westliche Anti-Terror-Kommandos benötigen für eine Befreiungsaktion erstklassige Aufklärungsergebnisse, an die man im Nordosten Nigerias so gut wie nicht kommt. Es wäre gefährlich bis tödlich, Agenten oder Sicherheitskräfte in diesen Teil des Landes zu schicken. Ich denke, dass man im aktuellen Fall nur durch beharrliche und diplomatische Verhandlungen zu einem Erfolg kommen kann.
Rolf Tophoven, geboren 1937, beschäftigt sich seit den 70er Jahren intensiv mit dem Thema Terrorismus. Seit 2003 ist er Direktor des „Instituts für Krisenprävention“ (Iftus) in Essen. Bereits 1975 erregte sein Buch „Fedayin. Guerilla ohne Grenzen“ Aufmerksamkeit. An dem Werk „Das Jahrzehnt des Terrorismus“ (2010) wirkte er als Co-Autor mit.
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