Terrorismus-Experte: Der Westen hat nichts dazu gelernt
Für Professor Peter Waldmann wird der Kampf gegen den Terror in Syrien entschieden. Dem IS einen Staat zu überlassen, hält er für fatal. Dafür hat er einen prominenten Kronzeugen.
Herr Professor Waldmann, stellen die Anschläge von Brüssel und vom 13. November 2015 in Paris, zu denen sich die Dschihadisten des „Islamischen Staates“ bekannten, eine neue Qualität des Terrorismus in Europa dar?
Waldmann: Ja, diese Anschläge sprengen das klassische Schema. Das geht schon in Richtung irregulärer Krieg. Diese Terroristen wollen nicht mehr nur eine Botschaft an die westlichen Gesellschaften schicken, sondern es geht ihnen auch darum, größtmögliche Zerstörungen bei ihrem Feind anzurichten. Dieser Krieg geht von einem Zentrum aus: dem Territorium des „Islamischen Staates“ in Syrien und im Irak.
Wie wichtig ist es für Terrorgruppen, ein eigenes Territorium zu besitzen?
Waldmann: Das ist für jede rebellische Macht von unschätzbarem Vorteil. Aus dem Untergrund heraus einen Krieg zu führen, ist ungleich schwieriger. So hat zum Beispiel die Irisch-Republikanische Armee (IRA) nach etlichen Jahren erkennen müssen: Wir sind gar keine Armee. Das eigene Territorium einer Terrororganisation ist wie das Zentrum des Krebses, um den herum sich Metastasen bilden.
So war es doch auch bei Al-Kaida in Afghanistan…
Waldmann: Osama bin Laden konnte zur Zeit der Taliban-Herrschaft in Afghanistan Ausbildungslager betreiben und die Anschläge vom 11.September 2001 vorbereiten. Leider hat der Westen seine Lektion aus diesem Fall nicht gelernt.
Welche Lehre hätte der Westen denn ziehen müssen?
Waldmann: Einer Terrororganisation darf kein Staat überlassen werden. In Afghanistan hat der Westen 2002 die Taliban gestürzt und damit auch Bin Laden die Basis entzogen. Das war das Entscheidende. Der nachfolgende jahrelange Krieg hätte nicht geführt werden müssen. Leider sieht sich der Westen heute außerstande, in derselben Weise den IS zu entmachten.
Aber die Amerikaner und ihre Verbündeten fliegen in Syrien und im Irak doch Luftangriffe gegen den IS…
Waldmann: Ohne Bodentruppen ist der IS aber nicht zu besiegen. Nach meiner Ansicht würde eine Truppe von 10000 Mann genügen, um die Dschihadisten zu vertreiben. In Syrien und im Irak entscheidet sich jedenfalls der Kampf gegen den IS-Terror.
Die islamische Bevölkerung in Europa wächst immer stärker an, auch durch die Flüchtlingsströme. Steigt dadurch die Anschlagsgefahr?
Waldmann: Ich habe für mein Buch „Radikalisierung in der Diaspora“, das 2009 erschien, die Frage untersucht, welche Gefahr von Migranten ausgeht. Dabei hat sich gezeigt, dass die erste Generation oft innerlich ihrem Herkunftsland verbunden bleibt und sich äußerlich mitunter sogar anpasst. Die zweite Generation aber hat Identitätsprobleme. Sie weiß nicht, wo sie hingehört. Wenn dann eine fundamentalistische Bekehrung stattfindet, wandelt sich die Ungewissheit in eine scheinbar absolute Gewissheit. Das ließ sich zum Beispiel bei den Mördern des niederländischen Regisseurs Theo van Gogh 2004 und den U-Bahn-Attentätern von London 2005 belegen.
Hilft Integration, der Entstehung dieser Terrorgefahr vorzubeugen?
Waldmann: Ja, das würde ich schon sagen. Damit kann ein potenzieller Gefahrenherd entschärft werden.
Warum gab es in Deutschland bisher keinen großen islamistischen Anschlag?
Waldmann: Deutschland hatte großes Glück. Dazu kam eine gehörige Portion Dilettantismus aufseiten der potenziellen Attentäter. Sie kommunizierten teilweise nur über das Internet und wurden nicht in Trainingscamps ausgebildet. Das ändert sich jetzt, wenn Dschihadisten aus dem Syrien-Krieg zurückkehren. Generell gilt: Wenn Menschen den Tod suchen, dann wird es schwierig mit der Abwehr.
Zur Person: Peter Waldmann lehrte von 1975 bis 2002 als ordentlicher Professor für Soziologie an der Universität Augsburg. Auch nach seiner Emeritierung verfasst der 79-Jährige weiter Bücher zu den Themen Gewaltsoziologie und Terrorismus.
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