Testgebäude am Neckar: Der Turmbau zu Rottweil
Für Hochgeschwindigkeits-Aufzüge in Wolkenkratzern plant ThyssenKrupp Elevator am Neckars ein Testgebäude. Es soll 235 Meter hoch werden, höher als alle anderen Bauten im Ländle.
Der Boden rückt in immer weitere Ferne. Aus der Lagerhalle wird eine Streichholzschachtel, Häuser, die hinter dichten Wäldern versteckt waren, werden sichtbar, schrumpfen aber schnell auf die Größe von kleinen Punkten. Das andere Ende der Stadt erscheint zum Greifen nahe.
Was die Kamera einer GPS-gesteuerten Drohne von Rottweil zeigt, ist keineswegs ein Werbefilm über die Schönheiten der ältesten Stadt Baden-Württembergs, betrachtet aus luftiger Höhe. Sie soll vielmehr zeigen, wie die Aussicht auf der oberen Plattform eines 235 Meter hohen Turms sein wird, der am nördlichen Rand der 25000-Einwohner-Stadt gebaut werden soll. In diesem will die Firma ThyssenKrupp Elevator Aufzüge testen, die überall in der Welt eingesetzt werden.
Abgesehen von den Spitzen zweier Sendemasten ist der Power Tower, wie der Turm wegen seines kolossalen Erscheinungsbildes genannt wird, das höchste Gebäude im Südwesten. Auch in Bayern ragen lediglich der Nürnberger Fernmeldeturm mit 293 Metern und der Münchener Olympiaturm mit 291 Metern weiter in die Höhe.
In Rottweil ist der Power Tower Megaprojekt, Spektakel und Ärgernis zugleich. Und in dem Land, das wegen eines Bahnhofsneubaus schon regelrechte Volksaufstände erlebt hat, ist der Bau eines Aufzugstestturms zumindest ein Widerständle wert. Schließlich überragt dieser auch das bisher höchste Gebäude im Schwäbischen, den Stuttgarter Fernsehturm, um 20 Meter.
Das Projekt in Rottweil wird von kontroversen Diskussionen begleitet. Es ist die Geschichte einer schwierigen Standortsuche, die Geschichte wütender Bürger und eines Oberbürgermeisters, der in seiner Heimat ein Zeichen setzen will.
Sie beginnt Ende April dieses Jahres. ThyssenKrupp Elevator, eines der führenden Aufzugsunternehmen der Welt, gibt bekannt, dass es weiter wachsen will. Um die Forschung zu intensivieren, muss ein neuer Test- und Entwicklungsturm für Hochgeschwindigkeitsaufzüge her. Wer Aufzüge testen will, die auch in Wolkenkratzern funktionieren sollen, muss nach oben. Weit nach oben.
Als favorisierter Standort wird zunächst ein Areal im Gewerbepark Neckartal, ein idyllisches, langgezogenes Tal am Stadtrand von Rottweil, ausgerufen. „Das Bauvorhaben ist für uns ein klares Bekenntnis zum Forschungs- und Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg“, frohlockt Alexander Keller, bei ThyssenKrupp Elevator für den Markt in Nord-, Mittel- und Osteuropa zuständig. In dem Werk in Neuhausen auf den Fildern habe man den Turm wegen der Nähe zum Stuttgarter Flughafen nicht bauen können, erklärt Keller, der mit seiner Familie selbst im Landkreis Rottweil lebt. Keller will in seiner Heimat im wahrsten Sinne des Wortes Großes schaffen.
Davon ist zunächst vor allem eine Person ohne Zweifel begeistert: Rottweils parteiloser Oberbürgermeister Ralf Broß. „ThyssenKrupp ist bei uns hochwillkommen“, verkündet er in einer ersten Pressemitteilung nach der Bekanntgabe des Projekts. Sein Gemeinderat gibt daraufhin sogar einem beschleunigten Bauverfahren grünes Licht.
Es scheint so, als sei es nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Bagger in dem Tal anrollen. In früheren Zeiten war hier in mächtigen Hallen Schwarzpulver fabriziert worden. Besonders in den dunklen Kapiteln der deutschen Geschichte lief die Pulverproduktion auf Hochtouren. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zum Rückbau der Anlagen.
Bis Mitte der 90er Jahre produzierte dann die Freiburger Firma Rhodiaceta Nylon. Anschließend siedelten sich in den alten Fabrikgebäuden verschiedene kreative Unternehmen an. In das Herz des Gebietes soll nun der Koloss kommen, für den Baukosten von mehr als 35 Millionen Euro veranschlagt werden. ThyssenKrupp verspricht Arbeitsplätze und eine Aussichtsplattform für Touristen. „Besucher unterbrechen ihre Fahrt auf der Autobahn 81 und genießen in 235 Metern Höhe bei einem Kaffee den Blick über die Schwäbische Alb und den Schwarzwald...“ – Vorstellungen wie diese bringen die Augen des Rathauschefs zum Leuchten.
Doch es gibt auch Menschen, denen der Power Tower eher die Zornesröte ins Gesicht treibt. Welche Geräusche werden zu hören sein? Wie sieht es aus mit dem Schattenwurf? Wird das historische Stadtbild zerstört? Verstopfen Touristenströme das beschauliche Neckartal? Es sind solche Fragen, die bei einigen Bürgern große Skepsis verursachen.
Unter ihnen befindet sich Ute Bott. Sie leitet eine Geigenschule im Gewerbegebiet Neckartal, ihr Haus befindet sich ebenfalls dort und liegt etwa 100 Meter Luftlinie von der Stelle entfernt, an der die Arbeiten für das Mammutprojekt bald beginnen sollen. Bott macht mobil, sucht sich Gleichgesinnte, geht an die Öffentlichkeit. „Das Besondere im Neckartal sind die vielen denkmalgeschützten Häuser“, sagt sie. „So ein Mega-Hochhaus ist der Fortschritt in die falsche Richtung“, schimpft die Künstlerin.
Ihr Mitstreiter Bernhard Pahlmann findet, dass das Rathaus bei den Verhandlungen überfordert ist. „Wenn so ein Weltkonzern mit den Fingern schnipst, rennt die Verwaltung sofort“, sagt Pahlmann provokativ. Insgesamt 84 Fragen zu dem Projekt haben die Turmgegner im Rathaus vorgelegt. Durch die Antworten fühlen sie sich jedoch trotzdem schlecht informiert. Oder besser gesagt: Sie fühlen sich übergangen.
Die Verwaltung sieht das anders. Öffentliche Gemeinderatssitzungen, öffentliche Ausschusssitzungen, eine Bürgerversammlung mit rund 420 Teilnehmern, ein Treffen mit den Anwohnern. Man habe doch mit „transparenten Verfahrensschritten alles richtig gemacht“, erklärt Oberbürgermeister Broß. Mehr Beteiligung gehe kaum.
Doch dann kommt trotzdem alles anders, als Unternehmen und Verwaltung sich das zunächst vorgestellt haben. ThyssenKrupp Elevator unternimmt Mitte Juli Probebohrungen und stellt fest, dass der Untergrund im Neckartal nicht geeignet ist. Ab etwa acht Metern Tiefe stößt man auf den Mittleren Muschelkalk. Der vom Konzern beauftragte Geograf Jürgen Kühn schreibt auf Seite sieben seiner neunseitigen „Faktensammlung zum geologischen Untergrund des geplanten Thyssen-Krupp-Turms im Neckartal in Rottweil“, dass der Boden schlicht ungeeignet sei. Seine Einschätzung: „Viel schlimmer geht es nimmer.“ Dringt Wasser in den anhydrithaltigen (calciumsulfathaltigen) Boden, könne dieser aufquellen. Kein gutes Fundament für einen 235-Meter-Turm. Die Kritiker fühlen sich bestätigt, es werden Zweifel an der Umsetzung des Projektes laut.
Doch Thyssen-Krupp-Europachef Alexander Keller spricht lediglich von einem „Dämpfer“, das Unternehmen halte an Rottweil fest. „Die Standortvorteile von Rottweil mit seiner Einbindung in den Hightech-Gürtel rund um Stuttgart, die zentrale Lage in der Nähe unseres Technologieparks in Neuhausen auf den Fildern sowie die politische Unterstützung von Oberbürgermeister Ralf Broß, Bürgermeister Werner Guhl und des Rottweiler Gemeinderats sind für uns weiterhin die wichtigsten Gründe für den Bau des Testturms in Rottweil“, entgegnet Keller den Kritikern. Dann beginnt die Suche nach einem neuen Standort.
Bereits Mitte September werden Unternehmen und Stadt in etwa 800 Meter Luftlinie vom alten Standort entfernt fündig. Das Industrie- und Gewerbegebiet „Berner Feld“, hoch gelegen am nördlichen Stadtrand, soll es nun werden. Erneute Probebohrungen, dieses Mal sogar bis zu 50 Meter in die Tiefe, beweisen: Der Standort Nummer zwei ist geeignet. Der Gemeinderat berät ausführlich und verabschiedet einen Grundsatzbeschluss, der die Verwaltung beauftragt, das Planungsverfahren für den Test- und Entwicklungsturm von ThyssenKrupp Elevator vorzubereiten. Viel Zeit darf nicht mehr verstreichen, der Zeitdruck für den Bauherrn nimmt zu, hat er doch bereits im Juli ein mehrstufiges Bieterverfahren für die Vergabe der Bauleistungen gestartet.
Dieses Mal soll alles reibungsloser laufen. Am letzten Septemberwochenende lässt ThyssenKrupp einen orangefarbenen Testballon mit einem Durchmesser von etwa vier Metern starten. „Durch den Ballon kann sich jeder Rottweiler ein genaues Bild machen, wie sich die Höhe des geplanten Testturms vom jeweiligen Standpunkt darstellt“, so Keller.
Ob der Turm so umgesetzt wird wie zunächst geplant, ist jedoch nicht sicher. „Das Design ist noch nicht fix“, sagt ein Unternehmenssprecher. Momentan laufe noch die Suche nach einem neuen Generalunternehmer.
Die Diskussion ist geschlossen.