Diagnose Alzheimer: Was von Gerd Müller bleibt
Bayern-Legende Gerd Müller ist an Alzheimer erkrankt. Doch die Erinnerungen an den Jahrhundert-Torjäger und "Bomber der Nation" auf dem Fussballplatz bleiben.
Wer in den 70er Jahren mit dem Fußball aufgewachsen ist, hat viele wunderbare Bilder im Kopf, die ihn sein Leben lang begleiten werden. Nicht wenige dieser Bilder zeigen einen untersetzten Kerl mit kräftigen Oberschenkeln. Dabei beschert er uns gerade wieder das größte Glück, das einem damals Zehnjährigen, neben dem Bonanza-Rad unterm Weihnachtsbaum, begegnen konnte.
Manchmal, wie an jenem Sommerabend 1970, als beim Stand von 0:2 gegen England das WM-Aus heraufzog und uns die Kehle abschnürte, hat Gerd Müller seine kurzen Haxen wie eine Ballerina gespreizt und den Ball mit der Fußspitze ins englische Netz bugsiert. Hölle und Himmel! Wie viele Tränen hat er uns erspart und uns vier Jahre später zu Weltmeistern gemacht. Eine Müller-Rotation auf der Fläche eines Bierdeckels und der Titel war unser. Wir werden uns noch daran erinnern, wenn wir den ersten Kuss schon lange vergessen haben.
Deutscher Jahrhundert-Torjäger leidet an Alzheimer
Nur Gerd Müller selbst wird bald nichts mehr davon wissen. Der Jahrhundert-Torjäger leidet an Alzheimer. Die Krankheit ist unheilbar. Sie macht keine Unterschiede. Sie lässt die Menschen langsam verschwinden. Eine Zeit lang ist die Hülle noch da, während der Geist sich verflüchtigt. Dann bleibt auch der Hülle nur noch das Refugium der Familie oder das Pflegeheim.
In Deutschland leben 1,5 Millionen Menschen in einem Stadium der Demenz, Tendenz steigend. Sie bedürfen intensiver Betreuung und Pflege. Der Umgang mit Demenz wird schon bald eine der größten Herausforderungen unserer alternden Gesellschaft werden. Was die Menschen dafür sensibilisiert, sind die Geschichten einzelner.
Gerd Müllers Erkrankung gibt der Demenz ein Gesicht
Als Dienstagabend die Nachricht von Müllers Erkrankung über die Agenturen lief, blieb nicht nur in vielen Sportredaktionen für Momente die Zeit stehen. Es waren die alten Bilder in den Köpfen, die nicht zu einem dementen Jahrhundertstürmer passen wollen. Wie der Sport in seiner kraftstrotzenden, leistungsorientierten Jugendlichkeit überhaupt immer irritiert ist, wenn er auf Verfall und Ende trifft. Vor einigen Jahren hat Sebastian Deisler einer ungläubig staunenden Öffentlichkeit erklären lassen, er leide unter Depressionen. Später hat sich Nationaltorhüter Robert Enke wegen schwerer Depressionen das Leben genommen. Beide haben ein Thema vom Rand in die Mitte der Gesellschaft getragen.
Wenn Gerd Müllers Erkrankung irgendeinen Sinn haben soll, dann den, der Demenz ein Gesicht gibt. Er selbst wird das nicht mehr verstehen. Uns bleiben die Bilder und die Erinnerung an einen großartigen Fußballer.
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