„Behalt den ungemütlichen Stuhl!“
Kabarettist Silvano Tuiach will es sich gar nicht heimisch machen. Warum er nie wirklich nach Hause kommt
Auf hitradio.rt1 ist Silvano Tuiach der Ur-Augsburger Walter Ranzmayr. Der liest mit Leib und Seele seine Heimatzeitung Augsburger Allgemeine und isst leidenschaftlich gern seine „Buttrrbrezg“. Das sind aber auch schon die einzigen Dinge, die der Kabarettist mit Ranzmayr gemeinsam hat. Denn während dieser nirgendwo sonst auf der Welt daheim ist als hier in Augsburg, ist Silvano Tuiach das Heimatgefühl im Laufe der Zeit abhandengekommen.
Herr Tuiach, was verbinden Sie mit dem Begriff Heimat?
Silvano Tuiach: Da fällt mir immer das Zitat von Ernst Bloch ein. Wie heißt das noch mal? Was allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war.Heimat ist immer etwas, das man mit Vergangenheit verbindet, retrospektiv.Gibt es Heimat noch? Was spannt den Begriff auf? – Tradition. Vereine. Natur. Umgebung. Der Wald, das Wäldchen, der Park, das alte Haus.
Sie haben es schon angesprochen. Gibt es Heimat heute noch?
Tuiach: Diese örtliche Verbundenheit ist im Wackeln. Der Heimatbegriff löst sich nach und nach auf. Das liegt auch an den ganzen Kaffee- und Fast-Food-Ketten. Wo arbeiten die Leute denn? In München, Ulm, Donauwörth. Die ganze Mobilität, die von der Wirtschaft gefordert wird, hat die Heimat zerstört. Da frag’ ich mich, wo herrscht Heimat? Grundsätzlich glaube ich, dass Städte ab einer gewissen Größe keine Heimat mehr sein können.
Glauben Sie das wirklich? Dann wären ja alle Menschen, die in der Großstadt leben, heimatlos...
Tuiach: Diese jungen Leute, die heute nach Berlin in die Großstadt gehen, die haben doch den Heimatbegriff vollkommen ad acta gelegt. Das ist eine andere Art von Existenz. Die Globalisierung bringt eben den Menschen hervor, der nach Hongkong geht oder nach New York. Es ist schon möglich, dass das Gefühl noch da ist, aber das ist dann fast wie Urlaub. Man kehrt für eine Woche in die Heimat zurück.
Sie sind in Augsburg geboren und leben hier. Fühlen Sie sich heimisch hier?
Tuiach: Ich wäre lieber in einer Kleinstadt groß geworden. Ich wäre gern 50, 60 Jahre früher geboren, in einer Zeit, wo diese Verbundenheit zur Heimat noch da war, wo die Beziehungen unter den Menschen noch da waren. Ich habe ja das Glück, dass ich in der ganzen Stadt bekannt bin: Grüß Gott, Herr Ranzmayr, grüß Gott, Herr Tuiach!, sagen die Leute. Ich finde das gut. Bin dankbar. Habe noch nie im Leben – auch nicht beim Essen – gedacht: Jetzt kommt der „Seggl“...
Apropos Essen. Können Sie als gebürtiger Augsburger sagen, wie Heimat schmeckt?
Tuiach: Heimat ist Butterbreze, auf jeden Fall. Als ich in Tokio oder New York war, habe ich immer gesagt: Heimat ist Butterbreze. Das würde ich die Delikatesse des kleinen Mannes nennen. Da fällt mir eine Geschichte ein: Da ist jemand nach Italien in den Urlaub gefahren und als er das gelbe Zeichen von McDonald’s gesehen hat, war er glücklich. Das war für ihn ein Stück Heimat. Ja um Gottes willen!
Wo fühlen Sie sich denn daheim?
Tuiach: Ich habe ein Heimatgefühl gehabt, habe aber dieses aufgegeben. Ich fühle mich ja nicht mal bei mir Zuhause daheim. Und wenn ich einen Brief schreibe, dann schreibe ich die Worte „nach Hause“ immer in Anführungszeichen. Ich bin in das Haus gekommen, wo ich zur Miete wohne, aber ich bin nicht nach Hause gekommen. Ich habe ja auch eine ganz kahle Wohnung, wo nichts mehr drinsteht.
Wie schaut denn Ihr Wohnzimmer aus?
Tuiach: Da ist bloß noch ein Fernsehapparat, eine Stereoanlage, zwei Aluminiumboxen und ein Stuhl.
Vorhänge vielleicht?
Tuiach: Meine Mutter hat immer gesagt, du brauchst Vorhänge. Da habe ich mich immer so aufgeregt. Mir ist das auch völlig egal, wenn die Leute da rein schauen...
Gemütlich klingt anders. Wollen Sie es sich in den eigenen vier Wänden nicht ein bisschen heimisch machen?
Tuiach: Vor ein paar Jahren habe ich alles ausgeräumt. Einmal wollte ich schon einkaufen, aber – halt – , da bin ich auf dem falschen Weg. Behalt den ungemütlichen Stuhl! Dann setze ich mich drauf und schau’ auf den Fernseherapparat. Menschenskind, sollte ich doch mal sagen. Aus, Schluss, weg damit. Ich habe genügend Fernsehen geschaut.
Genügend Fernsehen geschaut, okay. Aber auch genügend gelesen? Finden Sie als studierter Literaturwissenschaftler Heimat in der Literatur?
Tuiach: Mein Bücherregal ist mittlerweile ganz klein. Vor über 20 Jahren habe ich meine Bücher verschenkt. Das war ein Glücksgefühl. Mit den Büchern im Arm sind die Leute zum Auto gelaufen. Fantastisch! Jetzt habe ich noch drei Schriftsteller, die ich nicht weggebe: Der erste ist Nietzsche, mein Leib- und Magenphilosoph, Kafka und Philip Gross. Das ist für mich ein Stück literarische Heimat, wobei das auch ein Stück Identität darstellt, Vergangenheit. Zurückblicken oder nach vorn blicken? Heimat ist immer Zurückblicken.
Interview: Stefanie Roth
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