Bahnmitarbeiter wollen weniger Arbeit statt mehr Gehalt
Die meisten Mitarbeiter der Deutschen Bahn verzichten ab 2018 auf eine Gehaltserhöhung, um im Ausgleich mehr freie Tage zu bekommen. Das könnte jetzt zu Personalproblemen führen.
Mehr Urlaub, weniger arbeiten: Glaubt man Umfragen, dann träumen drei von vier Arbeitnehmern davon, sich häufiger eine Auszeit vom Job nehmen zu können. Bei den meisten bleibt es allerdings bei dem Traum. Anders bei den Mitarbeitern der Deutschen Bahn. Denn die rund 130000 Beschäftigten des Konzerns bekommen ab Januar 2018 2,6 Prozent mehr Gehalt – oder sechs zusätzliche Urlaubstage.
Diese Regelung ist Teil der Tarifabschlüsse, die die Bahn mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und der Gewerkschaft der Lokführer (GdL) ausgehandelt hatte (Bahn-Tarifkonflikt beendet). Bis Ende Juni konnten die Mitarbeiter entscheiden, welche Option sie wählen. Wie die Bahn jetzt mitteilte, wollen knapp 56 Prozent der Mitarbeiter mehr Freizeit, 41 Prozent mehr Geld. Nur 2,6 Prozent wünschten sich dagegen die ebenfalls angebotene Reduzierung auf eine 38-Stunden-Woche.
Gewerkschaft fordert 3000 Neueinstellungen
Regina Rusch-Ziemba, stellvertretende EVG-Vorsitzende, nennt das Ergebnis der Mitarbeiterbefragung ein "starkes Signal". Die Beschäftigten "wollen selber entscheiden, was für sie gerade richtig ist", betonte Rusch-Ziemba. "Und das ist nicht immer Geld." Damit keine Engpässe bei der Personalplanung entstehen, wenn die Mitarbeiter häufiger frei haben, fordert die Gewerkschaft 3000 Neueinstellungen. Die Bahn wollte diese Zahl nicht kommentieren. Sigrid Heudorf, Leiterin Beschäftigungsbedingungen bei der Bahn, erläuterte, der Konzern werde jetzt seine Personalplanung überprüfen und sie entsprechend anpassen. "Wir werden selbstverständlich dort, wo erforderlich, zusätzliche Mitarbeiter einstellen. Wie hoch dieser zusätzliche Personalbedarf ist, hängt von der konkreten Situation vor Ort ab." Generell stelle der Konzern aber jedes Jahr 10000 Mitarbeiter ein.
Weniger Geld, dafür mehr Freizeit – und das auch noch freiwillig. Was vor einigen Jahren noch undenkbar war, wird heute immer alltäglicher. "Downshifting" nennt sich das im Fachjargon, einen Gang herunterschalten also.
Die Karriereberaterin Wiebke Sponagel hat ein ganzes Buch über das Phänomen geschrieben. "Die Grundbedürfnisse sind größtenteils befriedigt", erläutert die Expertin. "Deshalb sind vielen Menschen heute andere Dinge wichtiger als Geld." Zeit, sagt Sponagel, sei mittlerweile "der wahre Luxus". Nach einer Umfrage der IG Metall wünschen sich knapp 86 Prozent der Befragten, dass ihre Arbeitszeit besser an ihre persönlichen Bedürfnisse angepasst wird. Immer mehr Konzerne stellen sich darauf ein: Der Computerhersteller Microsoft etwa hat Kernarbeitszeit und Anwesenheitspflicht abgeschafft, beim Elektronikkonzern Bosch können Mitarbeiter zu der Tageszeit arbeiten, zu der sie sich selbst am produktivsten fühlen.
Mitarbeiter können in zwei Jahren erneut entscheiden
Je nach Alter können die Bedürfnisse eines Mitarbeiters aber ganz unterschiedlich sein: Wer jung ist, träumt vielleicht von einem Sabbatical, also einer Auszeit, um zum Beispiel zu reisen. Wer gerade eine Familie gegründet hat, wünscht sich möglicherweise einen Teilzeit-Job, um mehr Zeit mit seinen Kindern zu haben. Und ältere Arbeitnehmer wollen unter Umständen weniger arbeiten, um sich in der übrigen Zeit um einen kranken Angehörigen kümmern zu können.
Diesen individuellen Lebensplanungen soll auch das Wahlmodell der Deutschen Bahn Rechnung tragen. "Wir haben gemerkt, dass die Mitarbeiter keinen vorgefertigten, für alle gültigen Tarifvertrag mehr wollen", erläutert EVG-Pressesprecher Uwe Reitz. Deshalb ist die Entscheidung der Mitarbeiter auch nur zwei Jahre lang bindend. Wer dann wieder etwas ändern will – mehr Geld statt mehr Urlaub zum Beispiel – ,der kann das nach Reitz’ Worten ohne Probleme tun.
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