Das ungewöhnliche Leben auf Schloss Aystetten
Jörg Stuttmann ist Künstler, Archivar und Synchronsprecher. Er führt im Aystetter Schloss ein ungewöhnliches Leben.
Man weiß nicht, wohin man sein Auge zuerst wenden soll. Zu den Grafiken an der Wand, zu Vasen, Gefäßen, Schälchen und Statuetten auf alten Kommoden und Regalen, zu funkelnden Lampen, glänzenden Kissen, weise lächelnden Buddha-Köpfen, hunderten kleiner Accessoires, die doch, weil persönliche Sammlerstücke und mit Erinnerungen behaftet, weit mehr als Dekorationen sind? Oder auf die üppig bepflanzte Terrasse, auf der sich die edle weiße Ramblerrose emporrankt – an der Wand des Aystetter Schlosses. Dort wohnt seit 20 Jahren Jörg Stuttmann, Schauspieler, Synchronsprecher, Rezitator und Vorleser, Kalligraf, Maler, Künstler, Überlebenskünstler - und Archivar. Seine Wohnung gleicht einem Schmuckstück, ist ein Archiv des unprätentiösen Lebens des 1959 geborenen Augsburgers. Der Schatz, der dazu kommt, ist Stuttmanns geschichtliches Privatarchiv.
300 prall gefüllte Ordner
„Ich bin etwas unübersichtlich“, räumt Jörg Stuttmann unumwunden ein. Aber trotz der tausendfachen Ausschmückung seiner Wohnräume ist das ganz und gar nicht so. Alles hat in der überschäumenden Kreativität seine Ordnung. Vor allem das Archiv. Seit rund 30 Jahren - Stuttmann arbeitete damals als leitender Kulturredakteur bei Radio Kö - sammelt und archiviert er alles und setzt Schwerpunkte auf die jüngere Stadtgeschichte Augsburg. 300 weiße, prall gefüllte Ordner stehen im Hausgang in festen wie rollenden Regalen, die Rücken penibel beschriftet und akribisch kalligrafisch bebildert. Hier kann sich jeder, ob Historiker oder Laie, zurechtfinden. Unter „HAM - HAQ“ finden sich Erklärungen zu Straßennamen in der Augsburger Hammerschmiede ebenso wie Fotos zum Sonnwendfeuer in Hammel, Ereignisse zum Hammeler Schloss oder die Trauerrede für eine Verstorbene.
Ihn interessiert das Alltägliche. Stuttmann schöpft aus Nachlässen, Zeitungsberichten, privaten Alben Er lässt nichts brach liegen, nimmt etwas, bevor es Erben wegwerfen, forscht akribisch nach, hüllt Fotos, Gedrucktes, Handschriftliches in Klarsichthüllen, beschriftet, macht Querverweise, ordnet, „um es findbar zu halten“, spürt nach mit einer großen Liebe zum Menschen, zur Bewegung des Lebens: „Nichts ist mir zu klein und ich lieb es trotzdem“ zitiert Jörg Stuttmann aus einem Gedicht von Rainer Maria Rilke.
Sortiert nach Kotelletenlänge
Etwas anfangen, nicht wissend, was daraus wird: Das habe ihn sein Archiv gelehrt. Und so ist es gewachsen, gewachsen. Bis zu 1000 Stunden arbeitet er im Jahr daran, und das kostet natürlich auch etwas. Wer sich für Augsburgs Altoberbürgermeister Hans Breuer im Detail interessiert, wird fündig. Sieht belustigt ein Foto, wie Breuer einen Wellensittich auf der Hand hält, Breuer auf Terminen, auf Wanderungen - Fotos, die Jörg Stuttmann von Breuers Frau erhalten hat. „Ich habe diese nach der Kotelettenlänge sortiert“, spielt Jörg Stuttmann humorvoll auf Breuers Haarschnitt an.
Seine Sammlung stelle ein „regelrechtes Augsburger enzyklopädisches Lexikon in Dokumenten dar“, attestiert ihm Dr. Stefan Lindl, Akademischer Rat am Lehrstuhl für Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte der Universität Augsburg, die Hochwertigkeit seiner Dokumentation. Das Privatarchiv Stuttmann gliedere sich in Veröffentlichungen der Presse, Archivalien und Publikationen der Stadtgeschichte seit dem 18. Jahrhundert. Neben den 300 Aktenordnern sind da aber auch 1300 Bücher zur Augsburger Stadtgeschichte und ein privates Archiv in Stuttmanns Schlafzimmer, Tagebücher, Fotos und Briefe.
Nachspüren, sammeln, dokumentieren, ordnen ist die eine, fürs Leben und Arbeiten den finanziellen Hintergrund zu schaffen, die andere Seite in Stuttmanns Künstlerleben. So freut er sich dann auch über Gönner. Als Redner bei Vernissagen, als Kalligraf, Zeichner und Maler, Sprecher oder Erzähler versucht er über die Runden zu kommen - und malt dabei auch fürs Oktoberfest großformatige „jagdbare Tiere“ und Armbrustschützen. Ein Leben, weit weg vom „Mainstream“ und auch vom Internet. Denn Jörg Stuttmann hat nicht mal einen Computer. Er tippt auf Schreibmaschine und schreibt noch richtige Briefe. Und hat noch viel vor: „Egal, wie alt ich werde, ich werde nicht alles getan haben, was ich tun möchte.“
Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast mit dem Augsburger Jörg Stuttmann an – der deutschen Synchronstimme von Eric Cartman aus der weltbekannten TV-Serie "South Park":
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