Selbst im Tod alleine
Was ist, wenn Menschen sterben, um die keiner trauert? Für deren Bestattung niemand aufkommt?
Eine große Sorge hatte die ältere Dame umgetrieben: Was ist, wenn sie nicht mehr ist? Sie hatte keine Angehörigen, keine Bekannten, niemanden, der sich kümmern, geschweige denn einmal die Beerdigung bezahlen und die Grabpflege übernehmen konnte. Die Konsequenz wäre vielleicht eine anonyme Beerdigung gewesen. „Herr Pfarrer“, hatte sie Franz Götz, den Pfarrer von Herz Jesu, angesprochen, „werden Sie mich einmal beerdigen?“. Diese Anfrage hat vor zwei Jahren bei Pfarrer Götz und seiner Gemeinde einen Prozess des Nachdenkens in Gang gesetzt.
Pfarrgemeinde kauft Grab
An dessen Ende stand der Beschluss der Gemeinde, ein Doppelgrab für acht Erdbestattungen und 16 Urnenbeisetzungen auf dem Westfriedhof zu kaufen, für Menschen, die ansonsten anonym beerdigt würden. „Ein Werk der Barmherzigkeit“ nennt dies Pfarrer Götz, „ein Zeichen auch, dass jeder Mensch vor Gott einen Namen hat.“ Auch die Pfarrei Heilig Geist hat so ein Grab.
„Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“ heißt ein Film aus dem Jahr 2013 von Uberto Pasolini. Darin geht es um einen Angestellten der Londoner Stadtverwaltung, dessen Aufgabe es ist, Angehörige oder Bekannte von Verstorbenen zu finden, die zuletzt keinen Menschen mehr um sich hatten. Die nach ihrem Tod keinen hatten, der um sie trauerte. Keinen, der am Grab stand, keinen, der eine Trauerrede hätte halten können, weil vom Leben des Verstorbenen einfach nichts bekannt war. Solche Situationen sind auch in Augsburg nicht selten.
200 anonyme Bestattungen
200 Menschen wurden im vergangenen Jahr anonym beerdigt – man nennt dies Ordnungsbestattungen. Die Tendenz ist steigend. Wenn kein anderer mehr in die Pflicht genommen werden kann, um die Beerdigung zu organisieren und zu bezahlen, ist es die Stadt, die dafür eintritt. Natürlich nicht ganz so, aber doch ähnlich wie im Film geht die Stadt Augsburg vor, wenn es darum geht, Menschen würdig zu bestatten, die keinen mehr haben, der für sie über den Tod hinaus Sorge trägt. „Wir sind zur Bestattung verpflichtet“, betont Helmut Riedl, Leiter des Bereichs Friedhofswesen der Stadt Augsburg. Am Anfang steht meist eine Meldung durch die Klinik oder ein Altenheim, wo dieser Mensch – von dem bisher kein Angehöriger aufgefallen ist – verstorben ist. Eine Mitarbeiterin des Friedhofswesens macht sich nun auf die Suche nach Angehörigen, fragt an beim Einwohnermeldeamt, beim Bezirk Schwaben und beim Amt für Soziale Leistungen. „Wenn wir Glück haben, finden wir jemanden“, so Riedl, „dann kann es aber sein, dass er sich nicht um die Bestattung kümmern will oder kann – weil er kein Geld hat oder etwa Hartz-IV-Empfänger ist.“
Angehörige müssen aufkommen
Grundsätzlich, so Riedl, schreibe es das Bestattungsgesetz vor, dass Angehörige für die Bestattung, nach einer festgelegten Rangfolge, verpflichtet sind. Kontakt nimmt das Friedhofsamt auch mit den Bestattungsunternehmen auf, fragt nach, ob möglicherweise Vorsorgeverträge gemacht wurden. Recherchiert wird auch, ob es Grabstätten der Familie gibt, die zur Verfügung stünden. Ist das alles nicht der Fall, wird der Verstorbene auf einem der beiden anonymen Urnenfelder beigesetzt. Meist geschieht dies in einer Sammelbeisetzung – mit einer würdigen Trauerfeier, für die sich mehrere Augsburger Pfarrer und auch Trauermusiker bereit erklärt haben.
Diakon hält immer Ansprache
Ob er fast alleine einen Menschen auf seinem letzten Gang begleitet oder im großen Kreis der Trauernden, da macht Diakon Christian Wild keine Unterschiede. Er hält immer eine Traueransprache – wenn er vom Verstorbenen nichts weiß, nimmt er einen allgemeineren Text, der das gelebte Leben würdigt. Und er singt auch den in der Liturgie vorgesehenen Psalm „Zum Paradies mögen Engel Dich geleiten“. Christian Wild tut dies, „weil ich weiß, dass jedes Leben eines Menschen vor Gott einmalig ist“.
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