Allgäuer Chirurg soll Vergabe von Organen manipuliert haben
Ein Arzt soll Daten so manipuliert haben, dass seine Patienten bessere Chancen auf ein Spenderorgan bekamen. Ermittler erheben schwere Vorwürfe.
Der Transplantations-Skandel an einem Münchner Krankenhaus, der 2012 bundesweit für einen massiven Rückgang von Organspenden mitverantwortlich war, strahlt bis ins Allgäu aus: Ein Chirurg, der nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft bei der Zuteilung von Spenderorganen manipuliert hat, ist inzwischen Chefarzt am Klinikum Kempten. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen ihn erhoben. Der Mediziner bestreitet alle Vorwürfe.
Zweieinhalb Jahre lang ermittelten die Experten. Dann erhoben sie die Anklage wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung. Diese prüft jetzt das Gericht – und entscheidet dann, ob es zum Prozess kommen wird. Zuvor wurde ein medizinisches Gutachten nach dem anderen angefertigt.
Letztlich erhebt die Staatsanwaltschaft in einer 125-seitigen Anklageschrift einen schwerwiegenden Vorwurf: Der 46-jährige gebürtige Allgäuer soll während seiner Zeit als Oberarzt in dem Münchner Transplantationszentrum falsche Laborwerte an die europaweit zuständige Vermittlungsstelle für Spenderorgane gemeldet haben, um die Chancen eigener Patienten bei der Zuteilung zu erhöhen. Angeklagt werden drei Vorfälle aus den Jahren 2009 und 2010.
Der Chirurg soll Patientendaten manipuliert haben
Zweimal sollen weitergeleitete Blutwerte gar nicht von den Patienten gestammt haben, die neue Organe benötigten. Einmal soll der Mediziner Urin beigemischt haben, um dafür zu sorgen, dass der Patient als noch kränker erschien, als er ohnehin schon war. In allen drei Fällen wurden den Kranken daraufhin Spenderlebern angeboten, heißt es in der Anklage.
Der Arzt habe damit in Kauf genommen, „dass schwerstkranke andere Patienten von ihrem höheren Listenplatz verdrängt wurden“, fasst die Staatsanwaltschaft zusammen. Da er wohl davon ausgegangen sei, dass diese später trotzdem eigene Spenderorgane erhalten, werde ihm kein Tötungsvorsatz unterstellt, sondern versuchte gefährliche Körperverletzung.
Zu den Motiven des Mediziners will sich die Staatsanwaltschaft derzeit nicht äußern. Eine Prüfungskommision der Ärztekammer hielt es bei früheren Untersuchungen für möglich, dass das Münchner Krankenhaus die zeitweise zu geringe Zahl an Transplantationsoperationen in die Höhe treiben wollte.
Der jetzt angeklagte Chirurg bewarb sich noch vor Aufdeckung des Skandals als Chefarzt in Kempten. Er ist ausgewiesener Spezialist für Lebertumore sowie Bauchspeicheldrüsen-Krebs und wurde aufgrund seiner Forschungen 2012 zum Professor ernannt. Das Klinikum Kempten entschied sich trotz „anderer guter Bewerber“ (Geschäftsführer Andreas Ruland) für ihn, weil dadurch jetzt Operationen durchgeführt werden können, für die Patienten davor in andere Krankenhäuser überwiesen werden mussten. Von Kemptener Kollegen und Patienten wird er als „hoch kompetent“ sowie „ausgesprochen bemüht“ geschätzt. Eine „spürbare, innere professionelle Härte“, sagt ein Mediziner, sei bei Chirurgen normal und dürfe nicht als „Arroganz“ missverstanden werden.
Angeklagter äußert sich schriftlich zu Vorwürfen
Als der Münchner Skandal für Schlagzeilen sorgte, konfrontierte die Kemptener Klinikleitung den Arzt mit den Vorwürfen und akzeptierte danach dessen Versicherung, dass die Vorwürfe haltlos seien. Die Zusammenarbeit sei „gut und vertrauensvoll“, teilt die Klinikleitung zur Anklageerhebung mit und warnt vor einer „Vorverurteilung“.
Der Arzt wollte sich auf Anfrage nicht persönlich äußern. In einer schriftlichen Stellungnahme spricht er von einer „juristischen Konstruktion“, die zur Anklage geführt habe. Nachweislich sei kein Patient zu Schaden gekommen, was die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage auch einräume.
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