In Unterhosen vor der Klasse
Immer öfter denunzieren Schüler ihre Lehrer im Internet: Bis zu fünf Fälle werden täglich beim Philologenverband gemeldet. Auch Lehrer aus Wertingen kennen das Problem. Von Karin Seibold
Von Karin Seibold
Augsburg. Ein Gedicht, hingebungsvoll aufgesagt vor einer Klasse pubertierender Jugendlicher. Der Druck auf den Aufnahmeknopf am Handy dauerte nur einen Sekundenbruchteil, in ein paar Minuten war das Video des im Lyrischen schwelgenden Lehrers ins Internet geladen - und damit weltweit zu sehen.
"Jeder hat mal Momente, in denen er nicht so gut wirkt, jeder macht mal Blödsinn", sagt Winfried Heppner: "Selbst Lehrer." Heppner ist stellvertretender Direktor des Gymnasiums in Wertingen, gemeinsam mit seinem Chef hat er sich bereiterklärt, mit unserer Zeitung über Lehrermobbing im Internet zu reden. "Die meisten Lehrer, die selbst betroffen sind, wollen das nicht auch noch öffentlich breittreten", sagt Rita Bovenz, Rechtsschutzreferentin des bayerischen Philologenverbandes. "An unserer Schule ist das noch kein großes Thema", sagt der Wertinger Direktor Peter Schwertschlager. "Aber wir müssen damit rechnen, dass auch uns das in Zukunft zunehmend beschäftigen wird."
Dreimal waren im Internet schon Videos von Lehrern des Wertinger Gymnasiums zu sehen, erzählt er - Ausschnitte aus einem "Bunten Abend", ein Sprechgesang im Englischunterricht und ein rezitiertes Gedicht. "Die Inhalte waren harmlos", sagt Schwertschlager.
Dennoch hätten die Schüler auf Bitten der Lehrer die Videos wieder aus dem Internet entfernt. Dennoch hat Schwertschlager den Lehrern an seiner Schule in einer E-Mail die Rechtslage bei Lehrermobbing im Internet erklärt. Natürlich sind die Geschichten der "krasseren Fälle", die derzeit durch die Medien kursieren, auch im Wertinger Lehrerzimmer Thema - das Videospiel, in dem das Gesicht eines Lehrers auf einer Figur auftaucht, die Lehrerin, die in eine Pornocollage montiert wurde oder der Kollege aus Schottland, der in Unterhosen vor der Klasse und wenig später vor der ganzen Welt stand. Vor laufender Handykamera hatte ihm ein Schüler mitten im Unterricht die Hose heruntergezogen und das Filmchen anschließend online gestellt.
"Drei bis fünf Anrufer am Tag" berät Rita Bovenz: bayerische Lehrer, die sich in Blogs, auf Videos oder Fotos online wiedergefunden haben. Die dort lesen müssen, dass sie zu dick sind oder eine hässliche Frisur haben. Aber auch Lehrer, denen online bestimmte sexuelle Vorlieben unterstellt werden. Rita Bovenz erklärt den Anrufern dann, wie sie sich wehren können: "In schlimmen Fällen sind da Disziplinarverfahren und sogar Strafanzeigen denkbar." Einige der Betroffenen, sagt sie, "haben schon die Absicht geäußert, die Vorfälle anzuzeigen."
Dass Schüler ihre Lehrer beschimpfen, beleidigen oder ihnen böse Streiche spielen, ist nicht neu - neu ist nur, dass diese Gemeinheiten nun online weltweit kommuniziert werden. "Das Internet ist was anderes als eine Schulwand", sagt Hergen Kicker, Sprecher des bayerischen Philologenverbands: "Wenn auf einer Schulwand steht: "Der Lehrer ist doof", dann sehen das nur wenige, und man kann die Wand wieder überstreichen. Aber Demütigungen im Internet sind öffentlich, die kriegt man nicht wieder weg."
"Es ist eine unglaubliche Enttäuschung für einen Lehrer, wenn er öffentlich so bloßgestellt wird", sagt Klaus Wenzel, Präsident des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes. Betroffenen Pädagogen rät er, sich juristische und psychologische Hilfe zu holen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und die Gewerkschaft der Polizei haben jetzt "klare gesetzliche Regelungen zum Schutz von Lehrkräften vor Mobbing im Internet oder per Handy" gefordert.
Der Wertinger Direktor Schwertschlager will bei seinen Schülern ein Bewusstsein für die Persönlichkeitsrechte anderer wecken, sagt er: "Wenn die Schüler sich nur eine Minute lang vorstellen, dass jemand sie so blamieren würde, erkennen sie vielleicht, was sie anderen damit antun."
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