Laufend unterwegs – im Auftrag des Herrn
Schwester Claudia aus Dillingen hat schon drei Mal einen Marathon gemeistert
Dillingen Es gibt einen Bösewicht, den alle Marathonläufer fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Man nennt ihn den Mann mit dem Hammer. Der Legende nach lauert er ab Kilometer 30 den Sportlern auf und zwingt die erschöpftesten unter ihnen in die Knie. Von Kraft und Mut verlassen geben sie auf. Schwester Claudia Rieß (49) von den Dillinger Franziskanerinnen hat weder Angst vor dem Hammermann noch vor anderen Schreckgespenstern. Sie ist laufend unterwegs – im Auftrag des Herrn. Schon drei Mal hat sie einen Marathon gemeistert; den schnellsten in 4:33 Stunden.
Und ob sie auch rannte im finsteren Tal, so fürchtet sie kein Unglück: „Ab Kilometer 30 sage ich vier Rosenkränze auf. Für jeden davon brauche ich etwa 2,5 Kilometer. Ich bin vollkommen konzentriert und vergesse alles um mich. Und am Ende freue ich mich nur noch über den Zieleinlauf im Stadion. Das ist einfach schön“, sagt die Ordensfrau, die im Frühjahr beim Halbmarathon in Kempten gefeiert wurde, als sie nach 2:12 Stunden freudestrahlend das Ziel an der Sankt-Lorenz-Basilika erreichte.
Gleich nach dem Zieleinlauf setzt sie sich den Schleier auf
Unmittelbar nach ihrer Ankunft in sportlicher Kleidung setzte sie den ordenstypischen Schleier auf. Ein Symbol für ihre Botschaft: „Manche denken, wir Schwestern leben im Jenseits. Aber wir stehen mitten in der Welt“, sagt die „Genussläuferin“, wie sie sich selbst nennt, im Franziskanerkloster Dillingen. Es liegt im Zentrum der 18000 Einwohner zählenden Kreisstadt an der Donau und ist seit 1241 Mutterhaus der Schwestern.
Unter den 45 Bewohnerinnen ist Schwester Claudia mit knapp 50 Jahren das Nesthäkchen. Die älteren Franziskanerinnen begegnen ihren sportlichen Aktivitäten mit einem milden Lächeln. Ungewöhnlich sei es schon, sagt die Oberin des Mutterhauses, Schwester Bernhild Schuster (66). Aber einen Widerspruch zum klösterlichen Leben sieht sie nicht. Im Gegenteil: „Solange wir uns bewegen, bewegt sich was“, sagt die rüstige Oberin mit der schwarz-weißen Kopfbedeckung, die selbst eine Sitztanzgruppe für Senioren leitet. Solange der Sport nicht zu blindem Ehrgeiz und Ellenbogenmentalität führt, ist er ihr willkommen. Genauso steht es in der Bibel. Bei Paulus (1 Kor 9, 24-25) heißt es: „Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion zwar alle laufen, aber dass nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft so, dass ihr ihn gewinnt. Jeder Wettkämpfer lebt aber völlig enthaltsam; jene tun dies, um einen vergänglichen, wir aber, um einen unvergänglichen Siegeskranz zu gewinnen.“
Für Schwester Claudia ist das Laufen ein Weg zur Ermutigung im Alltag. Schritt für Schritt. Mehrmals in der Woche tauscht sie ihre Ordenskleidung gegen T-Shirt, Weste, Turnschuhe und eine Uhr mit integrierter GPS-Navigation („ohne die geht gar nichts“) und läuft durch Wälder und Auen rund um Dillingen. Zur Marathon-Vorbereitung gehört auch die wöchentliche Lektüre des Fachmagazins „Runner’s World“. „Die lerne ich jedes Mal fast auswendig“, gesteht die sportliche Katholikin schmunzelnd.
Die ausgedehnten Lauf-Einheiten nutzt sie zum Gebet und fühlt sich im Einklang mit der biblischen Lehre: „Meinen Leib habe ich vom Herrgott bekommen. Es obliegt meiner Verantwortung, gut damit umzugehen“, sagt die schnelle Schwester, die vor sechs Jahren mit Inline-Skating begann, um ihr Gewicht zu reduzieren. Wenig später wagte sie die ersten Läufe und stellte positive Auswirkungen auf ihren Alltag fest. „Durch den Sport kann ich doppelt so schnell arbeiten. Von daher habe ich im Alltag keinen Zeitverlust“, bilanziert die stellvertretende Schulleiterin am St.-Bonaventura-Gymnasium in Dillingen, an dem sie Mathematik, Informatik („ich bin ein PC-Freak“) und Spanisch unterrichtet.
Mit ihrer Laufbegeisterung hat sie inzwischen auch die Schüler angesteckt. Im Vorjahr nahmen zwei ihrer Schulklassen am 5-km-Lauf im Vorfeld des München-Marathons teil. Schwester Claudia startete über die Langdistanz von 42,195 Kilometern. Die Jugendlichen schätzen die Schwester, die sich als „Fan unseres Papstes“ bezeichnet, zudem als kompetente Ansprechpartnerin in Sachen Fußball: Sie ist glühende Anhängerin des FC Bayern München und des FC Augsburg. „Zu meinem 50. Geburtstag wünsche ich mir einen Besuch im FCA-Stadion“, verrät sie lachend.
Das Tempo ist nicht zu hoch für die Schönheit der Schöpfung
Dann bricht sie mit dem Reporter auf, um eine Runde entlang der Donau zu drehen. Ihr Tempo ist beachtlich, aber nicht zu hoch, um sich nicht der Schönheit der Schöpfung bewusst zu werden. Genau diese Erfahrung will sie weitergeben. Schwester Claudia träumt davon, das nahe gelegene Kloster Maria Medingen mit einem neuen Ansatz für ein breites Publikum interessant zu machen. „Laufen, Therapie, Spiritualität“, beschreibt sie das Motto.
Ins Kloster wollte Claudia Rieß schon als Mädchen. An diesem Wunsch hat sich auch während ihres naturwissenschaftlichen Studiums (Mathematik und Physik) nichts geändert. „Es ist ein Irrglaube, dass sich Naturwissenschaft und Religion widersprechen. Fast alle großen Physiker kommen an einen Punkt, an dem sie anerkennen: Die Schöpfung ist so großartig – sie kann kein Zufall sein“, sagt Schwester Claudia, die ihren Weg konsequent weiterläuft. Die Teilnahme am München- Marathon im Oktober ist fest eingeplant. Vom Hammermann lässt sich Schwester Claudia nicht beirren.
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