Nach dem Hochwasser kommt der Abriss: Opfer warten auf Fluthilfe
Vor zwei Monaten ging Fischerdorf nach einem Dammbruch an der Isar unter. Die schmutzige Brühe ist abgeflossen, doch die Schäden sind geblieben. Ein Ortsbesuch bei Familie Kufner.
Ringsum überall dunkle Wolken. Nach den heißen Tagen im Juli ergießen sich „ergiebige Regenfälle über Bayern“, berichtet ein Radiosprecher in schönstem Meteorologendeutsch. Nur im Deggendorfer Stadtteil Fischerdorf fällt seltsamerweise bisher kein Tropfen. Wer an höhere Mächte glaubt, der könnte das so deuten: Der Himmel will gutmachen, was er vor zwei Monaten hier verbrochen hat.
Und da ist einiges zusammengekommen. Jeder hat noch die Bilder des niederbayerischen Ortes vor Augen, der Anfang Juni in schmutzig-braunen Fluten versank. Denn Fischerdorf liegt wie in einer Badewanne, eingeschlossen zwischen den Dämmen von Isar und Donau, die dort zusammenfließen. Nur kurz ließ sich der bröckelnde Isardamm verteidigen. Dann kam die Flut – binnen weniger Stunden rollte das Wasser wie eine Lawine heran. Lautlos schluckte es alles, was sich ihm in den Weg stellte. Fischerdorf gab es nicht mehr. Auf Luftbildern waren allenfalls noch die Dächer zu sehen. 14 Tage dauerte es, bis die Bewohner wieder in die Häuser konnten. Oder besser gesagt: in das, was von ihnen übrig geblieben war.
Das Wasser rollte wie eine Lawine heran
Jetzt, Mitte August, wirkt die Gegend nach der wochenlangen Hitze wie ausgedörrt. Das Gras in den Vorgärten ist verbrannt. Martina Kufner steht in Shorts und T-Shirt vor ihrem Haus an der Hauptstraße und zeigt auf die Wand, von der – wie an vielen anderen auch – weit über Mannshöhe der Putz abgeklopft ist. „2,30 Meter hoch stand die Brühe“, erzählt die 35-jährige Grafikerin. Ein dunkler Streifen zeichnet sich wie ein Mahnmal der Flut an der Mauer ab. Und, man mag es kaum glauben: Es riecht noch immer nach Öl.
„War ma Fischerdorfer, sam ma Fischerdorfer, bleim ma Fischerdorfer.“ Martina Kufner
Die Kufners sind eine von über 600 betroffenen Familien in Fischerdorf. Über eine halbe Milliarde Euro betragen die Schäden, die die Wassermassen im Raum Deggendorf angerichtet haben. Das hat man im Landratsamt errechnet. Freistaat und Bund haben massive Hilfsprogramme verabschiedet. Vor kurzem waren Ministerpräsident Horst Seehofer und sein Umweltminister Marcel Huber vor Ort, um zu zeigen, dass die Fischerdorfer nicht vergessen seien. Die ersten Zahlungen aus dem Bund-Länder-Wiederaufbau-Fonds werden noch im August fließen, sicherte Seehofer zu. Damit sollen bis zu 80 Prozent der Schäden abgedeckt werden.
Doch die Leute wissen: Es ist Wahlkampfzeit. Da versprechen Politiker gerne. Ob sie das später auch halten, daran zweifelt in Fischerdorf noch der ein oder andere. „Mal sehen, was passiert. Fragen Sie mich in einem Jahr noch mal, ob wir den Wiederaufbau finanziell stemmen konnten“, bemerkt Stefan Kufner und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Er nimmt gerade Bodenproben im Garten, dessen Humusschicht möglicherweise von den Fluten verseucht wurde.
600 betroffene Familien in Fischerdorf
Das Schicksal der Kufners ist beispielhaft für viele in dem Deggendorfer Ortsteil. Das 1995 erbaute Haus des jungen Paares konnte wie die meisten hier im Überschwemmungsgebiet nicht versichert werden. Doch der immense finanzielle Schaden ist nicht das einzige Problem. Im Erdgeschoss wohnte die pflegebedürftige Mutter, die seither bei Verwandten einquartiert ist. Es wird noch Monate dauern, bis sie wieder zurück kann. Das Elternhaus, direkt an der Straße, hat die Familie aufgegeben. „Es wird wohl abgerissen.“ Die neue Immobilie soll aber erhalten werden – allerdings ist dazu eine Generalsanierung notwendig. Sogar die Ziegel müssen mit hochaggressivem Wasserstoffperoxid behandelt werden, damit all der Schimmel, die Pilze und die giftigen Ölrückstände verschwinden.
Das Elternhaus wird wohl abgerissen
Gerade ziehen die letzten Handwerker ab. Sie verabschieden sich in den Sommerurlaub. „Wir haben unseren Urlaub storniert“, sagt die junge Mutter. Zum Trauern über die missliche Situation hatten die Kufners allerdings bisher keine Zeit. Seit Wochen arbeiten sie praktisch ohne Unterbrechung. Stefan Kufner bekam von seinem verständnisvollen Arbeitgeber 20 Tage Sonderurlaub. Vor dem Haus steht ein Schuttcontainer, in dem Ziegel liegen. Ein Erker wurde abgerissen, weil sich das Mauerwerk mit Öl vollgesaugt hatte. Auch diverse Innenwände mussten raus. Noch steht alles leer. Rohbauatmosphäre. Wie in vielen Häusern surren auch hier mitten im Sommer die Bautrockner. Die Suche nach den Schuldigen der Flut steht für die Kufners nicht im Vordergrund. Sie kämpfen wie die meisten anderen Fischerdorfer weiterhin um Anschluss an die Normalität. Die ist noch nicht in Sicht. Tief ins kommende Jahr wird es dauern, bis die Schäden behoben sind. Erst in den letzten Tagen konnte der 36-Jährige wieder halbwegs geregelt seiner Arbeit nachgehen.
Mauerwerk von Öl getränkt
Mancherorts sieht es schon aufgeräumter aus. Zwischen den zwei Deichen der Donau, gleich hinter der mächtigen modernen Brücke, die nach Fischerdorf führt, beispielsweise. Da kann man wieder von einem Postkartenidyll sprechen. Auf sattgrünen Wiesen weiden die Rösser des örtlichen Reitvereins. Nichts erinnert hier an die Katastrophe. Doch dahinter hat sich das Leben nicht erholt. Der Bäcker hat nach wie vor geschlossen. Das Farbengeschäft ist umgezogen. Ein großes Plakat weist auf den neuen Standort hin. Die Renovierungsarbeiten haben hier noch nicht einmal begonnen. Vor den Autohäusern, auf deren Parkplätzen die Autos im Juni schwammen wie bunte Enten, sieht es schon wieder geschäftig aus. Wer aber hinter die Kulissen in die Schauräume blickt, der bemerkt, dass die Händler nur eine Art Notbetrieb fahren. „Es geht weiter, aber es ist schwierig“, berichtet eine Mitarbeiterin. Die Geschäftsführung des BMW-Vertreters lehnt eine Stellungnahme ab. Die Leute haben anderes zu tun, als über Wasserschäden zu lamentieren. Es gilt, das Unternehmen zu retten, was schwer genug sein dürfte. Billige, flutgeschädigte Gebrauchtwagen gibt es in Fischerdorf übrigens nicht. Die meisten Autos seien zurück zu den Herstellern gebracht worden, hört man. Die anderen wurden von Autoteilehändlern aus Tschechien zerlegt wie Schlachtvieh.
"Es geht weiter, aber es ist schwierig"
Nicht weit entfernt ist das Haus von Josef Gruber zu sehen. Es steht leer. Die Garage davor ist – wie das Nachbarhaus auch – abgerissen. Die Fensterstöcke im Obergeschoss fehlen, einige Dachplatten sowie die Außenverkleidung ebenfalls. Das erst vor wenigen Jahren renovierte Gebäude scheint nicht mehr sanierbar zu sein. Am 14. Juni berichteten wir an dieser Stelle über das Schicksal des 50-jährigen Gruber und seiner Familie. Die Resonanz war enorm. Viele Leser meldeten sich und wollten für ihn spenden. Leider war die Familie nicht mehr zu erreichen. Denn das Telefon ist seit der Flut tot. „Das Haus vom Gruber muss abgerissen werden“, bestätigen die Nachbarn die eigene Vermutung. Er lebe mit seiner Familie inzwischen im benachbarten Plattling. Genaueres weiß man nicht.
Staat prüft, dass Geldempfänger wirklich bedürftig sind
Doch auch Gruber, der in den ersten Tagen nach der Flut so verzweifelt war, darf hoffen. Er könnte zu den Härtefällen zählen, denen der Schaden aus öffentlichen Geldern komplett ersetzt wird. Denn sein Haus war längst noch nicht abbezahlt. Die Altschulden drücken. Allerdings überprüft der Staat penibel, wer wirklich hilfsbedürftig ist, um Betrügern das Wasser abzugraben. Denn es sollen, so hört man, in den ersten Tagen auch einige Leute Soforthilfe kassiert haben, die gar nicht hochwassergeschädigt sind. 15 Seiten stark ist der Antrag des Landes Bayern. „Das ist wie ein Hartz-IV-Antrag. Wer Geld will, muss die Hosen runterlassen“, beschreibt Kufner das Schreiben. Der Antrag des Bundes umfasse nur drei Seiten.
Finanziell sieht es derzeit trotz Unterstützung aus regionalen Hilfsprojekten düster aus. Alles in allem etwa 18 000 Euro, schätzt Martina Kufner, dürfte die Familie bisher erhalten haben. Das ist bei einem Gesamtschaden von knapp einer halben Million Euro nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch günstige Kredite über 10 000 oder 20 000 Euro, die von örtlichen Banken angeboten werden – die ersten zwei Jahre rückzahlungsfrei –, helfen nicht wirklich weiter.
„Das ist wie ein Hartz-IV-Antrag. Wer Geld will, muss die Hosen runterlassen.“ Stefan Kufner
Zwischen all den Problemen gibt es auch gute Nachrichten. Eine davon: Die vorhergesagte Mückenplage hält sich in Grenzen. Möglicherweise konnten die Insekten auf dem giftigen Wasser nicht richtig brüten. „Die Fliegen sind schlimmer“, bestätigt Martina Kufner. Und: In all dem Chaos sind die Fischerdorfer nach wie vor überrascht von der unglaublichen Hilfsbereitschaft, die sie erlebt haben. Wildfremde Menschen hatten angepackt, viele mit bloßen Händen, andere zeigten sich als finanzielle Wohltäter. Die seien durch den Ort gelaufen und hätten gesagt: „Da habt’s einen Hunderter“, erzählt Martina Kufner. Das hat bei ihr und ihrem Mann nachhaltig Eindruck hinterlassen. Oben, am Balkon ihres Hauses, hängt ein Banner mit der Aufschrift: „Vielen Dank den freiwilligen Helfern.“ Stefan Kufner, selbst Mitglied in der Freiwilligen Feuerwehr, fügt hinzu: „Wenn das alles hier rum ist, dann helfe ich auch woanders mit, wenn irgendwo Hilfe gebraucht wird.“
Mückenplage hält sich in Grenzen
Einige Straßen weiter lebt Sieglinde Pfeffer. Sie hat ihre im überschwemmten Erdgeschoss lebenden Eltern in den Urlaub geschickt: „Die waren fix und fertig.“ Zusammen mit ihrem Mischlingshund Sissy hütet sie das Haus. Der Ofen aus hellblauen Kacheln ist das einzige Möbel, das übrig blieb. „Der Rest war Sperrmüll.“ Wie die meisten Fischerdorfer, sagt auch sie, habe man gewusst, dass die Gegend Überschwemmungsgebiet ist. Viele waren darauf eingerichtet, hatten Pumpen im Keller, die Regale waren höher angebracht. Ein guter Meter Hochwasser hätte kaum Schaden angerichtet. „Aber wer konnte mit so etwas rechnen?“
Interessant ist, dass sich die Menschen trotz großer Unsicherheit nicht unterkriegen lassen. Ein Umzug in ein hochwassersicheres Gebiet kommt für die meisten nicht in Frage. „War ma Fischerdorfer, sam ma Fischerdorfer, bleim ma Fischerdorfer“, sagt Martina Kufner. Das klingt wie eine Kampfansage.
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