Übertrittszeugnis in Grundschulen vor dem Aus?
Verbände und die SPD wollen, dass Eltern die Schullaufbahn ihres Kindes bestimmen dürfen. Die CSU hält aber am Notensystem fest. Muss bald ein Gericht entscheiden?
Muss das Übertrittszeugnis in den Grundschulen gekippt werden? Diese Frage stellt die SPD. Sie hat ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, dass die Verfassungsmäßigkeit der momentanen, auf Noten basierenden Übertrittsmethode überprüfen soll. Auch eine Popularklage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof steht im Raum. Damit will die SPD-Landtagsfraktion den Druck auf die Staatsregierung erhöhen. Das Kultusministerium sieht aber keinen Grund, von der gängigen Praxis abzuweichen.
Mit dem Übertrittszeugnis, das am heutigen Montag an den Grundschulen im Freistaat verteilt wird, steht für rund 100000 Viertklässler fest, welche Schule sie im kommenden Schuljahr besuchen dürfen. Maßgeblich sind dabei nach wie vor Noten. Mit einem Schnitt von 2,33 in den Fächern Deutsch, Mathematik und Heimat- und Sachkunde reicht es für das Gymnasium. Mit einer Durchschnittsnote von 2,66 dürfen die Schüler auf die Realschule. Bayern und Sachsen sind die einzigen Bundesländer, die eine Übertrittsempfehlung zu weiterführenden Schulen an Noten festmachen. In allen anderen 14 Bundesländern liegt die Entscheidung bei den Eltern.
Kritik vom Lehrerverband
Scharfe Kritik an dieser Praxis üben der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) und die SPD. „Der Übertrittsdruck quält zu viele Kinder“, sagt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. Die Kinder und auch deren Familien seien über Wochen großen Strapazen ausgesetzt. Oft gehe es allein darum, die „Eintrittskarte für das Gymnasium“ zu bekommen.
„Ein Verfahren, das sich nur auf Noten stützt, ist nicht zuverlässig“, sagt Martin Güll, bildungspolitischer Sprecher der SPD. Auf den Schülern laste schon in der Grundschule „unsäglicher Druck“. Güll kritisiert vor allem, dass den Eltern die Entscheidung abgenommen werde und dass bei der Notengebung die soziale Herkunft der Schüler eine Rolle spiele. Wohlhabende Familien könnten mit Nachhilfeunterricht und individueller Förderung mehr Einfluss auf die Leistungen ihrer Kinder nehmen. „Der Staat kann kein fehlerfreies Verfahren garantieren“, sagt Güll.
Professor Heinz Reinders, Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Bildungsforschung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, stellte bereits 2015 in einer wissenschaftlichen Studie bei bayerischen Familien erhöhte Stresswerte fest, wenn der Übertritt kurz bevorsteht. Wesentlich weniger Stress war es in Hessen, wo es Beratungsgespräche für die weitere Schullaufbahn der Kinder gibt. Reinders fordert eine Aufweichung des Notensystems und individuelle Beratungs- und Unterstützungsgespräche. „Bayern muss weg vom starren Notensystem.“
SPD: Eltern sollen entscheiden
Auch der Vorschlag der SPD zielt darauf ab, die Noten als Basis des Übertritts abzuschaffen. Stattdessen sollen die Eltern entscheiden, welche Schule das Kind nach der Grundschule besucht. Anstelle der Noten solle es ein Beratungsgespräch mit der aufnehmenden Schule geben und eine Empfehlung von den Grundschullehrern, sagt Güll. Die Schüler sollen individuell eingeschätzt, anstatt auf Noten reduziert zu werden. In dieselbe Kerbe schlägt auch der Bayerische Elternverband. „Es gibt zu wenig Lern- und Entwicklungsgespräche“, sagt Landesvorsitzender Martin Löwe. Der Zeitpunkt des Übertritts sei zu früh gewählt, die individuelle Begabung der Schüler werde zu wenig berücksichtigt. „Nach der vierten Klasse wird die schulische Laufbahn quasi zementiert. Das ist schrecklich.“
SPD-Bildungspolitiker Güll untermauerte seine Sichtweise in der jüngsten Landtagssitzung. Doch der CSU-Abgeordnete Michael Hofmann warf Güll „Angstmacherei“ vor und betonte: „Unser Schulsystem ist differenziert und ausgeglichen. Außerdem können wir uns auf das Urteilsvermögen unserer Lehrer verlassen.“ Auch Kultusstaatssekretär Georg Eisenreich (CSU) hielt in der Sitzung dagegen: „Im 2009 angepassten Übertrittsverfahren ist der Elternwille bereits berücksichtigt.“ Auch eine Empfehlung der Lehrer wurde damals eingebaut. Zudem hätten Eltern die Möglichkeit, ihre Kinder zum Probeunterricht an eine weiterführende Schule zu schicken. Michael Piazolo (Freie Wähler) räumt einer Popularklage wenig Erfolgschancen ein. Der Antrag der SPD wurde abgelehnt.
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