Der „Gefällt-mir-Knopf“ gefällt ihnen nicht mehr
Junge Frauen erzählen, warum sie aus Facebook ausgestiegen sind und beweisen, dass ihr Leben auch so funktioniert.
Wie überlebt man, ohne zu wissen, was die 350 Freunde, von denen man 80 auf der Straße nicht wiedererkennen würde, gerade tun? Wie einschlafen, ohne zu wissen, ob Flo seinen Beziehungsstatus nicht doch endlich von „in einer Beziehung“ in „Single“ geändert hat? Wie ohne das ergötzende Fremdschämen auskommen, wenn Mauerblümchen Sabine mal wieder „lustig, lustig trallala – auch das Abspacken muss wohl in den Genen liegen“, betrunken gepostet hat?
Bei so viel Unterhaltung, Information und Organisation gibt es nicht nur den emotionalen Höhenflug. Viele klagen über das „Einmal-geht-noch-Log-In-Bedürfnis“. Widersteht man, plagt einen das Gefühl, ein Stück Leben verpasst zu haben. Gibt man nach, bleibt man nicht selten hängen, stolpert von einer Aktivität zur nächsten; am Ende bleibt der entsetzte Blick auf die Uhr und der Ärger über so viele Minuten, die mit leerer Beschäftigung im Sande verlaufen sind: weil man ein bisschen Voyeur im Leben der anderen war.
250 Freunde, mit denen nur die Wies’n-Maß verbindet
Ein Tag ohne Facebook? Zu schaffen. Drei Tage? Hürdenlauf. Eine Woche? Enges Höschen. Verena Berger zieht es ab und zu an. Sie ist eine „On-and-Off“-Nutzerin, die hin und wieder auf „Face-Ohnia“ Urlaub macht. „Wenn mir alles zu viel wird – zu viel Stress, zu viel Leben, zu viel Ich – nehme ich mir eine dreiwöchige Auszeit“, sagt die 29-Jährige. Warum nicht ganz ohne? „Kein Facebook ist auch keine Lösung. Mein offenes Geheimnis ist: Es gibt kein effizienteres Medium, um am Puls von Zeit und Freunden zu sein.“
Wer einen Schritt weiter geht, verlässt ein Stück weit die Lebensbühne. Es sind die Totalverweigerer. Sie schwimmen gegen den Strom – sei es, um hip zu sein oder weil es ihre Überzeugung ist. „Nachdem ich mein Profil deaktiviert hatte, hagelte es SMS, ob ich Hilfe brauche“, empört sich die 26-jährige Vera Sailer.
Augsburger Sängerin hält Facebook für den Untergang.
Die Initialzündung: „Am 20. November habe ich Geburtstag. Auf einen Schlag haben mir 250 Freunde, mit denen mich ’ne Maß und ’ne Brezl auf der Wiesn verbinden, ,das Beste von Herzen‘ gewünscht.“ Wenig erfreut war sie auch über die Schnappschüsse, die durch Facebook im Netz zu finden sind. „Googelt man sich selbst, ist das witzig. Spielt der potenzielle Chef Detektiv, hat der Spaß ein Loch. Den Erstkontakt als ,Faschings-Vera’ mit Bommelhut und Glitzerbrille aufzunehmen, ist suboptimal“, findet die Betriebsleiterin.
Die Augsburger Sängerin Eva Gold hält Facebook gar für den „zwischenmenschlichen Untergang“. „Das Netzwerk funktioniert, weil jeder Angst hat. Angst etwas zu verpassen, Angst in der Masse unterzugehen, Angst keine Anerkennung zu bekommen“, ist die 28-Jährige überzeugt. Nach drei Jahren hatte sie genug. Sie war genervt, dass Freunde wie Sticker gesammelt werden, und wie danach gestrebt wird, sich mit locker-flockigen Status-Sprüchen Beliebtheit beim Publikum zu erheischen. „Sozial gefährlich ist das. Viele machen ihren Selbstwert davon abhängig, wie viele ,Gefällt mir‘-Klicks das Foto oder der Kommentar abgesahnt haben“, glaubt sie.
Die Immobilienwirtin Anne Pollok hat nur sechs Monate im Onlinekosmos gelebt. Grund für ihren Austritt war der mangelhafte Datenschutz. „Ich habe einfach keinen Bock, mich mit Sicherheitseinstellungen der Privatsphäre zu beschäftigen, wenn sie letzten Endes doch nicht wasserdicht zu kriegen ist“, sagt die 23-Jährige.
Ohne Online-Netzwerk zurück zu alten Werten?
Wie der „Typus Aussteiger“ die frei gewordene Zeit füllt – ob er Nachbarin Heide plötzlich wieder einen Besuch abstattet oder den süßen Typen nach alter Manier an der Haltestelle abfängt, ist letztlich eine Frage des Charakters. Dass digital nicht zwangsläufig mit analog ersetzt wird, weiß Helena Triesch: „Jetzt hänge ich halt stundenlang bei YouTube ab.“
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