Keine Beschimpfung, nur ein Spaß
Der österreichische Theaterautor Thomas Bernhard sprach in den 1970er Jahren von einem "muffigen verabscheuungswürdigen Nest, dieser Lechkloake". Augsburg nahm das übel - die wechselseitigen Beschimpfungen hatten zeitweise durchaus tragödienhafte Züge. Von Werner Reif
Von Werner Reif
Augsburg - Eigentlich ist sie eine lupenreine Komödie, die Beziehungskiste zwischen dem österreichischen Schriftsteller Thomas Bernhard und der Stadt Augsburg. Der Theaterautor sprach in den 70er Jahren von einem "muffigen verabscheuungswürdigen Nest, dieser Lechkloake". Augsburg nahm das übel - die wechselseitigen Beschimpfungen hatten zeitweise durchaus tragödienhafte Züge.
Jetzt ist ein Nachtrag zu diesem kulturellen Aufreger fällig: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) hat mit dem Vorabdruck des Bernhard-Texts "Meine Preise" begonnen - das erste Werk, das aus dem Nachlass des 1989 verstorbenen Dichters erscheint.
In diesem Buch finden sich weitere Anhaltspunkte dafür, weshalb Bernhard Augsburg scheinbar so übel malträtierte. Bernhard und Augsburg: Eine Posse in drei Akten:
Die handelnden Personen:
Thomas Bernhard, der freundliche "Allesbeschimpfer" (FAZ), der schon sein Heimatland Österreich eine "geist- und kulturlose Kloake" genannt hat.
Dr. Thea Lethmair (1916-1988), Kulturredakteurin der Augsburger Allgemeinen.
Ein Pförtner im Zeitungshaus an der Ludwigstraße.
I. Akt
27. Juli 1974: Bei den Salzburger Festspielen wird Bernhards Stück "Die Macht der Gewohnheit" aufgeführt. In dem Drama tritt der kontrollsüchtige Zirkusdirektor Caribaldi auf. Es bleibt ungenannt, wo sein Zirkus gerade gastiert. Aber dass er "morgen in Augsburg" sein wird, kommt wie ein Leitmotiv immer wieder im Stück vor.
Dieses "morgen in Augsburg" wird eine Saison lang zur Dauer-Redewendung nicht nur in Schwaben. Ferner stellt Caribaldi die Frage, ob es in Augsburg "überhaupt einen Arzt" gebe. Der Direktor will einen Rheumaspezialisten aufsuchen. Auch ist Caribaldi, ein "ganz und gar verrückter Musikalienhändler", in Augsburg bekannt.
Nachdem Bernhard schon früher mit der "Lechkloake" für einen Lokalskandal gesorgt hatte, giften die Augsburger zurück. Dutzende von Bürgern attackieren den Dramatiker, verlangen eine Erklärung. Ohne Reaktion. Das Rechtsamt der Stadt Augsburg wird eingeschaltet, es ergeht ein Hilferuf an den bayerischen Ministerpräsidenten. Der "Große Österreichische Staatsbeschimpfer" ( FAZ) schlägt eine Einladung des Augsburger OB aus.
II. Akt
6. September 1974, um die Mittagsstunde: In der Kulturredaktion der Augsburger Allgemeinen läutet das Telefon. Der Pförtner meldet Kulturredakteurin Thea Lethmair: "Ein Herr Bernhard möchte Sie sprechen." Die Kollegin vermutet den ihr bekannten Maler Georg Bernhard. Rückfrage: "Heißt er Georg mit Vornamen?" Telefonstimme aus dem Hintergrund: "Es is¿ schon der richtige." Antwort Lethmair: "Er soll heraufkommen."
Auf tritt der damals 43-jährige, leger im Polohemd. "Jösses, Sie sind ja der Thomas Bernhard", entfährt es Lethmair. Im Dialog mit dem unangemeldeten Blitzbesucher erfährt die Redakteurin, dass der Schriftsteller beim Pförtner zuerst gefragt habe: "Hat die Redakteurin Humor?" Bei unbefriedigender Antwort wäre er nicht gekommen.
Frage Lethmair: "Wie kommen Sie gerade auf Augsburg in Ihrem Stück?"
Bernhard: "Ich hätte auch Nürnberg sagen können, aber Augsburg klingt halt besser. Sie wissen doch, wie das beim Schreiben ist. Der Rhythmus, der Tonfall - es muss passen."
Lethmair: "Und ,Lechkloake¿?"
Bernhard: "Der gleiche Fall."
III. Akt
Seit zwei Wochen druckt die FAZ Bernhards "Meine Preise" ab. Dort heißt es über die Stadt Regensburg: "Die Stadt gefiel mir nicht, sie ist kalt und abstoßend ... Wie hasse ich diese mittelgroßen Städte mit ihren berühmten Baudenkmälern, von welchen sich ihre Bewohner lebenslänglich verunstalten lassen ... Salzburg, Augsburg, Regensburg, Würzburg, ich hasse sie alle, weil in ihnen jahrhundertelang der Stumpfsinn warmgestellt ist."
Epilog
Beim Abschied von Thea Lethmair bilanzierte Bernhard: "Es war doch nur ein Spaß."
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