Netflix & Co: Weshalb das Kino unter Druck gerät
Gerade war der Streamingdienst beim Festival in Venedig erfolgreich. Er und weitere Anbieter unterlaufen die traditionelle Verwertungskette. Das hat Folgen.
Mit dem diesjährigen Filmfest von Venedig hat ein neues Kapitel in der Filmgeschichte begonnen – so viel kann kurz nach der Preisverleihung gesagt werden. Denn mit „Roma“ hat erstmals ein Film den Preis gewonnen, der von einem Streamingdienst ins Rennen geschickt worden ist. Aus der Online-Videothek, die Netflix 1997 bei ihrer Gründung gewesen ist, ist nun endgültig ein Produzent von Filmen geworden, die höchste Ansprüche erfüllen.
Für die Kinolandschaft stellt Netflix nicht einen weiteren Hersteller von Filmen dar, sondern einen Herausforderer, der das bisherige Geschäftsmodell umkrempeln will und im Grund das Prinzip Kino mit seiner Verwertungskette infrage stellt. Klassisch sieht das Vermarktungsmodell so aus, dass (anspruchsvolle) Filme erst auf Festivals präsentiert wurden, anschließend in die Kinos kommen, danach auf DVD erscheinen, dann bei Bezahlfernsehsendern laufen und irgendwann später in öffentlichen Fernsehprogrammen ausgestrahlt und dadurch weiterverwertet werden. Schon bei dieser Aufzählung merkt man, wie viele verschiedene Akteure von guten und publikumsstarken Filmen profitieren.
Das Prinzip Netflix sieht anders aus. Der US-Streamingsdienst, der in über 190 Ländern präsent ist, produziert Filme ausschließlich –und anders als sein Streaming-Konkurrent Amazon – für sich selbst. Um Filme ins Oscar-Rennen schicken zu können, bringt Netflix diese Arbeiten zwar alibimäßig für ein paar Tage in ausgewählte amerikanische Kinos. Zu sehen bekommt die überwiegende Mehrheit Netflix-Produktionen aber nur auf der Streaming-Plattform. Der große Vorwurf der klassischen Kinobranche lautet demgegenüber, dass Netflix zwar Film-Festivals als Werbebühne für sich nutzt, an seinen Gewinnen aber nicht die klassische Kinoindustrie – sprich auch die Kinos – profitieren lässt.
Cannes sträubt sich gegen den Eindringling Netflix
Vergangenes Jahr gab es im Rahmen der Filmfestspiele von Cannes Diskussionen um den Streamingdienst. Damals liefen die beiden Filme „The Meyerowitz Stories“ und „Okja“ dort im Wettbewerb, allerdings kamen die beiden Filme anschließend nicht ins Kino, was die Festivalbesucher in Cannes bei der Wettbewerbspräsentation mit Pfeifkonzerten bedachten. In diesem Jahr haben die Filmfestspiele von Cannes dem einen Riegel vorgeschoben. Nur Filme, die auch in französische Kinos kommen, durften im Wettbewerb gezeigt werden. Das Angebot, seine Filme beim Festival außerhalb der Wettbewerbsreihe zu zeigen, schlug Netflix aus.
Als Antwort darauf präsentierte der Streamingdienst nun beim Festivalkonkurrenten in Venedig seine Filme. In einem – wie allseits angemerkt wurde – starken Jahrgang setzte sich „Roma“ von Oscar-Preisträger Alfonso Cuarón durch, der darin mit wunderbaren Bildern das Leben in Mexiko in den 1970er Jahren einfängt. Ebenfalls ausgezeichnet wurde der Netflix-Film „The Ballad of Buster Scruggs“, für den die Brüder Ethan und Joel Coen den Preis für das beste Drehbuch bekamen.
Der Streamingdienst, der erst als Produzent von eigenen Serien (etwa „House of Cards“) für Furore sorgte, bringt nun auch Filmkunst heraus, die vom Budget, aber auch in der Qualität mit klassischen Kinoproduktionen mithalten kann. Hollywood-Starregisseur Steven Spielberg fordert, Netflix von der Oscar-Verleihung auszuschließen und wie einen Fernsehproduzenten zu behandeln – nämlich vom Wettbewerb auszuschließen.
Über viele Jahrzehnte war es so, dass die besten Regisseure für Hollywood und das Kino arbeiteten, weil dort die größten Budgets zu haben waren und es das meiste Geld zu verdienen gab. TV-Produktionen waren für Regisseure und Schauspieler immer nur die zweite Wahl. Wenn nun Oscar-Preisträger wie Alfonso Cuarón und die Brüder Coen für Netflix arbeiten, gerät diese Hierarchie ins Wanken, wird das Primat des Kinos infrage gestellt.
Verschärft wird diese Entwicklung dadurch, dass die großen Hollywood-Studios fixiert auf ihre Blockbuster-Reihen sind, dass dort Innovation und Mut für Neues gerade nicht zu den großen Tugenden zählen. Populäre Stoffe – man denke nur an all die Marvel-Helden – werden weiter und weiter erzählt, die Lust, auch einmal mit einem Film im großen Stil Neuland zu betreten, ist dagegen schwach ausgeprägt. Das heißt, dass es für Netflix zusätzlich einfacher ist, kreative Filmemacher und Drehbuchschreiber für sich zu gewinnen.
Amazon, Disney, Facebook - alle wollen mit dabei sein
Einen anderen Weg beschreitet Netflix-Konkurrent Amazon. Der weltgrößte Online-Versandhändler ist gerade dabei, eine amerikanische Programm-Kinokette zu kaufen. Das kann als Versuch gewertet werden, die eigenen Inhalte nicht nur über den Streaming-Dienst zu vermarkten. Der Medienkonzern Disney wiederum möchte nächstes Jahr selber einen Streaming-Dienst eröffnen, auf dem die eigenen Inhalte fortan günstiger als bei Netflix zu sehen sind. Der Film- und Kino-Markt ist mächtig in Bewegung geraten – am Horizont sogar der Internetgigant Facebook, der auch einen eigenen Streaming-Dienst plant.
Was sagt ein Kinobetreiber zu dieser Entwicklung? Franz Fischer, der in Augsburg seit 20 Jahren mehrere Kinos führt, ist von der neusten Entwicklung nicht überrascht: „Durch die DVD und das Bezahlfernsehen haben sich die Wertschöpfungsketten schon verändert“ – jetzt sei ein weiterer Teilnehmer auf dem Markt. In seinen Kinos spüre er bislang jedoch keinen Netflix-Knick, „die Besucherzahlen sind stabil“. Außerdem glaubt Fischer, dass Streaming-Dienste wie Netflix, sobald sie eine gewisse Marktabdeckung erreicht haben, ihre Budgets für Produktionen wieder zurückfahren werden. „Und dann gibt es ganz sicher immer noch Kinos.“
Die Diskussion ist geschlossen.