G8: Die neue „Hauptschule“
Das G8 ist eine einzige Baustelle. So, wie dieses G8 gestartet ist, so, wie es sich auch heute noch darstellt, ist es immer noch Murks.
Fragt man den bayerischen Kultusminister Ludwig Spaenle nach dem achtjährigen Gymnasium (G8), so wird man nichts Kritisches hören. Natürlich. Nichts wird geändert, es bleibt, wie es ist. Und doch. Die Aktivitäten der jüngsten Zeit hinter den Mauern des Ministeriums sprechen Bände. Mehr Lernzeit wird geschaffen durch mehr Ganztagsangebote und das sogenannte Intensivierungsjahr. Das G8 ist eine einzige Baustelle. So, wie dieses G8 gestartet ist, so, wie es sich auch heute noch darstellt, nachdem jetzt der zweite Abiturjahrgang mit den schriftlichen Prüfungen begonnen hat, ist es immer noch Murks.
Ein Zurück zum neunjährigen Gymnasium gibt es nicht. Das wäre auch ein Betrug an den Schülern, die sich durch die Unzulänglichkeiten des G8 gekämpft haben. Eine Änderung des Schulsystems ist in Bayern ausgeschlossen.
Baden-Württemberg hat zumindest auf den G-8-Unmut reagiert. Die grün-rote Landesregierung hat beschlossen, dass bei einem Modellversuch zunächst 22 Gymnasien zum neunjährigen Gymnasium zurückkehren können. In einem zweiten Schritt sollen weitere 22 Gymnasien folgen. Eine Umfrage ergab, dass 152 von 282 Schulen das G9 befürworten oder bereits die Wiedereinführung planen. Statt Schule neu zu denken, greift man lieber auf Altbewährtes zurück.
Für viele Kinder und Jugendliche sind acht Gymnasialjahre nicht genug, um zum Reifezeugnis – wie sinnig diese alte Bezeichnung doch ist – zu gelangen. In Bayern können sie jetzt in einem Intensivierungsjahr an ihren Schwächen arbeiten. In der Theorie klingt das gut, denn die Krux des Sitzenbleibens war ja immer die, dass im Wiederholungsjahr alle Fächer noch einmal durchgekaut werden mussten. Doch diese Individualisierung des Stundenplans ist eine organisatorische Herausforderung und bedarf zusätzlichen Personals. Tatsächlich brauchen wir aber eine ganz andere Schule. Eine, die mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten Schüler mit unterschiedlichen Begabungen zur Hochschulreife führt. Wie auch immer man sie dann nennen wird.
Das Gymnasium entwickelt sich nämlich zur „Hauptschule“ der Zukunft. 40 Prozent der Schüler eines Jahrgangs wechseln heute aufs Gymnasium. Und das ist auch politisch so gewollt. Trotz immer noch strenger Übertrittsregeln: 2,33 (Notenschnitt aus Mathe, Deutsch, Heimat- und Sachkunde) gilt als der Schlüssel zum Erfolg. Der Wille der Eltern wird immer gewichtiger. Wenn sie es wünschen, bekommen auch Kinder mit schlechteren Noten über Aufnahmeprüfungen und Probeunterricht eine Chance.
Und Eltern tun viel, um ihren Kindern den vermeintlichen Königsweg zum beruflichen Erfolg zu ermöglichen. Als würde das Familienglück einzig vom Übertritt aufs Gymnasium abhängen, werden Unsummen in Nachhilfestunden investiert und Lehrer schikaniert. Es gibt Eltern, die nicht davor zurückschrecken, einen Anwalt zu engagieren, der dem Lehrer beim Erkennen der Begabung und Einzigartigkeit des Kindes auf die Sprünge helfen soll.
An dieser belastenden Atmosphäre, der Kinder schon im Grundschulalter ausgesetzt sind, ist nicht das G8 schuld. Sie ist der Tatsache geschuldet, dass die Eltern immer nur das Beste für ihr Kind wollen. Das ist ihr gutes Recht! Dass heute mehr Schüler aufs Gymnasium wechseln, ist auch gut. Tatsächlich durchsetzen werden sich am real existierenden bayerischen Gymnasium aber doch nur die Schüler, die von zu Hause den nötigen Rückhalt bekommen. Aber wir brauchen alle Talente im Land – auch diejenigen, die zu Talenten erst geschmiedet werden müssen.
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