Ausbeutung bei Erntehilferin: Für zwei Euro pro Stunde in den Tod
Der Tod von Paola Clemente erschüttert Italien. Die 49 jährige Tagelöhnerin wurde unter einem Baum zurückgelassen und starb. Doch ihr Schicksal ist kein Einzelfall.
Noch weit vor dem Morgengrauen war Paola Clemente aufgestanden, jeden Morgen um zwei Uhr früh. Meist kehrte die Tagelöhnerin 13 Stunden später von ihrer Arbeit zurück. Nach insgesamt 300 Kilometern im Kleinbus mit den anderen Arbeitern und einem aufreibenden Tag in den Weinstöcken von Andria.
Stundenlang schuftete die 49 Jahre alte Frau aus Apulien in der glühenden Sommerhitze und beschnitt Weinreben. Für 27 Euro netto am Tag. Bis sie am 13. Juli nicht mehr in ihren Heimatort San Giorgio Ionico zurückkehrte.
Was genau an diesem Vormittag geschah, ist immer noch nicht ganz geklärt. Fest steht, Clemente fühlte sich schlecht. Statt die Tagelöhnerin sofort ins Krankenhaus zu begleiten, riet ihr der Fahrer des Kleinbusses, sie solle sich unter einem Baum ausruhen. Dort starb sie.
Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung
Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen den Leiter des Agrarbetriebs sowie gegen den Busfahrer wegen fahrlässiger Tötung. Die Leiche der Frau wurde in den vergangenen Tagen exhumiert, es fanden sich keine eindeutigen Hinweise auf fremde Schuld an ihrem Tod.
Dennoch bleiben Zweifel. Mindestens drei Tagelöhner sind dieses Jahr in der süditalienischen Region Apulien ums Leben gekommen. Ein 42 Jahre alter Kollege Clementes liegt seit Wochen im Koma, ein weiterer Erntehelfer wird seit Tagen vermisst.
Sklavenähnliche Verhältnisse
Der Fall Clemente hat in Italien eine Diskussion über sklavenähnliche Verhältnisse bei Erntehelfern ausgelöst, die Regierung plant Maßnahmen. Ähnliche Arbeitsbedingungen herrschen teilweise auch in den Regionen Kalabrien, Kampanien, Sizilien, Latium, Toskana, der Emilia-Romagna, Venetien, der Lombardei oder im Piemont – überall dort, wo beliebte Agrarprodukte wie Tomaten, Oliven, Weintrauben oder Obstsorten geerntet werden.
Oft passiert das unter unmenschlichen Bedingungen. Rund 400 000 Tagelöhner seien im italienischen Agrarsektor beschäftigt, schätzt die Gewerkschaft CGIL. 43 Prozent von ihnen arbeiten schwarz.
Während ihres 13-stündigen Arbeitstages verdienten Clemente und ihre Kollegen umgerechnet zwei Euro pro Stunde. Ein Hungerlohn. Die Mutter von drei Kindern bezahlte ihre Anstrengungen mit dem Tod. Italiens Landwirtschaftsminister Maurizio Martina kritisierte die offenbar systematisch betriebene Ausbeutung der Arbeiter und sagte: „Dieses Phänomen muss bekämpft werden wie die Mafia.“
Bislang waren vor allem Fälle von Ausbeutung von Immigranten in Italien bekannt geworden. Im kalabrischen Rosarno war es im Frühjahr 2010 zu Ausschreitungen und einer Spirale der Gewalt zwischen Ausländern und der Bevölkerung gekommen, nachdem die in der Orangenernte tätigen afrikanischen Erntehelfer sich gegen ihre unmenschliche Behandlung gewehrt hatten.
Die gesetzlichen Strafen für Unterdrückung und Ausnutzung billiger Arbeitskräfte wurden anschließend verschärft. Offenbar ohne durchschlagenden Erfolg. Angesichts der teilweise dramatischen sozialen Verhältnisse im Mezzogiorno mit Arbeitslosenquoten von bis zu 50 Prozent sind auch viele italienische Familien auf Arbeit im Niedriglohnsektor angewiesen.
"Transporteure" behalten Großteil des Tagelöhner-Lohns für sich ein
Im Fall der „Braccianti“, der Tagelöhner im Agrarsektor, sind Beschäftigungen durch große, oft in Norditalien ansässige Zeitarbeitsfirmen üblich, die Anfragen von Agrarbetrieben bekommen und sich an private Vermittler in den jeweiligen Regionen wenden.
Die Vermittler, die sich oft als reine Transporteure tarnen, aber auf eigene Rechnung arbeiten und über die Tagesengagements entscheiden, werden „Caporali“ genannt. Diese modernen Sklaventreiber behalten regelmäßig einen Großteil des offiziell deklarierten Tagelöhner-Lohns für sich ein.
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