Manhattan und die Bronx: New York zeigt seine Facetten
Zwischen den New Yorker Stadtteilen Manhattan und den Bronx liegen Welten. Besonders in den 70er Jahren waren die Bronx ein gefährlicher Ort.
Das Warten auf Kellermeister Lou hat sich gelohnt. Vorbei an dampfenden Töpfen und schwitzenden Köchen führt er uns durch die Küche und dann über eine steile Stahlwendeltreppe in die Tiefen des Gebäudes. Vor einer unscheinbaren gemauerten Nische bleibt er stehen und erzählt, wie es damals war. „Alles“ hätte die Polizei versucht, „wirklich alles“, um herauszufinden, ob der Club 21 eine „Speakeasy“ sei. Eine Flüsterkneipe, in der man zu Zeiten der Prohibition Alkohol heimlich trinken konnte. Die Wände wurden nach Hohlräumen abgeklopft, Kerzen aufgestellt, ob ein Luftzug etwa geheime Räume verrate. Nichts habe geklappt und die Polizei sei damals oft da gewesen, sagt Lou. Dass der Kellermeister mit seiner gedrungenen Figur, dem Bauchansatz und dem dunklen Haarkranz um die Glatze aussieht, wie ein kleiner Bruder von Al Capone ist Zufall, trägt aber dazu bei, dass man sich in die Situation geradezu bildlich hineinversetzen kann.
Dann nimmt Lou einen dürren Draht in die Hand, schiebt diesen durch ein Miniloch in eine Nische, man hört ein schweres Schloss klacken. Und langsam und unglaublich schwer öffnet sich eine ummauerte Stahltür und dahinter ein Weinkeller mit einem Trinkerseparee, in dem eine Episode aus dem Mafia-Epos „Der Pate“ hätte spielen können.
Eine Szene "Sex in the City" wurde im Club 21 in New York gedreht
Ein klassischer New Yorker Wow-Effekt. Der Club 21 in der 52nd Street, die von der Fifth Avenue abzweigt, ist eine Institution. Natürlich werden Wein und Bier längst wieder offiziell ausgeschenkt, doch man hat sich ein paar Schrulligkeiten bewahrt. Vor der Tür stehen hölzerne Jockeys, an denen einst die Pferde angebunden wurden. Und innen möchte man ständig den Kopf einziehen, so viel Kram hängt von der Decke. Spielzeug-Flugzeuge, Football-Helme, Autos und sogar ein weißer Schlittschuh der deutschen Eiskunstläuferin Katharina Witt.
Ja, jeder könne anfragen, ob er hier an der Decke etwas aufhängen dürfe, aber das Lächeln von Ober Silvio verrät, dass wir mit unserem Kugelschreiber wohl keine Chance hätten. Silvio hat amerikanische Präsidenten bedient, einflussreiche Manager und berühmte Schauspieler. Sammy Davis jr. und President Nixon waren Stammgäste und hatten ihre eigenen Weinflaschen im Keller gelagert. Szenen für „Sex in the City“ wurden im Club 21 gedreht, und für „Wallstreet“ ebenso. Hier an dem großen runden Tisch, gleich vor der Bar sei Michael Douglas gesessen. Nur ausgerechnet an diesem Abend ist keiner da.
Das Plaza-Hotel in New York wurde 1930 eröffnet
Und doch ist in diesem Club 21 so etwas wie ein Instant-Gefühl für New York, vor allem für Manhattan spürbar. Denn sosehr die Insel Taktgeber für das 21. Jahrhundert zu sein scheint, profitiert die Stadt noch immer von den Legenden, die vor allem in den 20er, 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts entstanden sind, als New York sich von einem Auswanderermoloch zur Großstadt formte, als die ersten Wolkenkratzer gebaut wurden. Es war die Zeit der Bandenkriege, der Prohibition, der Wirtschaftskrise.
In den Häuserfluchten gibt es noch viele Orte, die von dieser Zeit der Legenden erzählen. Das schnelle New York ist unerwartet traditionell. Je mehr Geld im Spiel ist, desto konservativer. Dafür ist rund um die 5th Avenue genug Spielraum. Tiffanys, das Traditionskaufhaus Bergdorf & Goodman, das berühmte Plaza-Hotel sind nur einige der Institutionen der reichen New Yorker. Es gibt traditionsbewusste Familien, die seit Generationen im The Pierre, gleich um die Ecke, ihre Familienfeste feiern, weil sich das so gehört. Hier wird am Sonntag der High Tea zelebriert, die Aufzüge werden noch von Fahrstuhlführern bedient und der Ballsaal ist eines Schlosses würdig. 1930 eröffnete das Hotel als luxuriöser Privatclub auf immerhin 41 Stockwerken. Ölmilliardär John Paul Getty gefiel das Haus so gut, dass er es kaufte.
Das Rockefeller Center war eigentlich als Opernhaus geplant
Ein anderer Ölmilliardär prägte ein paar Blocks weiter ein ganzes Stadtviertel. Das Rockefeller Center. Wenn man Manhattan ein Stadtzentrum zuschreiben möchte, dann ist es die Plaza mit dem vergoldeten Prometheus, wo im Winter der berühmte Weihnachtsbaum steht und derzeit Jeff Koons Blumenhund „Splitted Rocker“.
John D. Rockefeller wollte auf diesem Gelände für New York eine Oper bauen. Doch die Wirtschaftskrise 1929 ließ diese Pläne platzen. Tausende verloren ihre Arbeitsplätze, Kultur war allen schnuppe. Rockefeller plante erfolgreich um. Zog 16 Wolkenkratzer binnen Kürze hoch. Dem Reichtum der Rockefellers und den gigantischen Bauplänen konnte die Wirtschaftskrise nichts anhaben. Der Stammsitz des Unternehmens war damals das erste voll klimatisierte Hochhaus der USA – und Manhattan noch teilweise bewaldet.
Unvorstellbar wenn man heute auf der Aussichtsplattform Top of the Rocks steht und auf das Häusermeer blickt. Jahrelang war das „Observation Deck“ geschlossen, das in den 30er Jahren wie ein Kreuzfahrtdeck für einen Luxusliner konzipiert war. Seit neun Jahren kann es wieder besichtigt werden. Von hier hat man den wohl schönsten Blick auf die City, das Empire State Building, den Hudson, den Central Park, das Hochhäusermeer. Hier oben begreift man die Dimensionen New Yorks, die sich unten nicht erfassen lassen. Da liegt sie „die Stadt des Ehrgeizes, der undurchdringliche Magnetfelsen, das unweigerliche Ziel all derer, die darauf bestanden, dort zu sein, wo alles stattfindet“. Treffender als Tom Wolfe kann man die Sogwirkung Manhattans nicht beschreiben. In „Fegefeuer der Eitelkeiten“ beschreibt der Autor den gnadenlosen Niedergang eines Wallstreet-Brokers.
New Yorker Stadtteil "Bronx" nach Däne Jonas Broncks benannt
Den harten Alltag hinter den Art-déco-Fassaden sieht man nicht. Die günstigsten 30-Quadratmeter-Apartments kosten hier 4.000 Dollar im Monat. Manhattan – das ist die „Strandboutique des Lebens“, auch das sagt Wolfe. Teurer Glitzer-Glimmer, wenig Alltag also.
Eine U-Bahn-Fahrt in den Norden führt in die Realität. Die Bronx. Die Schattenseite New Yorks, die Straßen, in denen ein ganz anderer Alltagskampf von 1,5 Millionen Einwohnern geschlagen wird, weit, weit abseits von Wallstreet und 5th Avenue. Eine andere Welt zehn Minuten Fahrzeit mit der U-Bahn von der Upper East Side entfernt.
Erster Eindruck: hier ist es still, das stetige Rauschen Manhattans fehlt. Rote Backsteinbauten, ein paar Autogaragen, kaum Verkehr auf den breiten Straßen. Die Fenster der leerstehenden Gebäude sind oft mit Pappkartons verbaut. „Damit man aus den Fenstern nicht schießen kann“, sagt Volker Hanke. „Und sich keine Obdachlosen in den Häusern niederlassen.“ Der 44-jährige Ostwestfale lebt seit 20 Jahren in New York und bietet unter anderem Fußgänger-Touren durch die Bronx an. Der Name des Stadtteils geht auf den Dänen Jonas Broncks zurück, der das Land für ’nen Appel und ’n Ei den Indianern abgekauft hat. „Wir gehen zu den Broncks“, hieß es damals. To the Broncks. The Bronx blieb im Sprachgebrauch.
Ein sehr gefährlicher Ort in den 70er Jahren - die Bronx
Ein schickes Viertel wurde hier einst auf dem Reißbrett entworfen, das sieht man noch heute. Die Boulevards wurden großzügiger angelegt als die Park Avenue in Manhattan, als Gipfel des jüdischen Auswanderer-Traums. Die Backsteinbauten am Grand Concourse, gleich beim Stadion der Yankees, sind Art-déco-Juwele. In direkter Nachbarschaft steht das Bronx County Building, das protzig weiße Gerichtsgebäude aus den 30er Jahren, das bei Wolfe, eine zentrale Rolle spielt.
Doch als die Europäer wegzogen, verelendete der Stadtteil schleichend. Die 70er Jahre waren die schlimmste Zeit für die Bronx, sagt Volker. „Damals brannten hier wirklich die Häuser, die Gangs kontrollierten die Straßen.“ Die Polizei habe sich in manche Blocks überhaupt nicht getraut. Mittlerweile könne man tagsüber in der Bronx unterwegs sein. Doch als die Ärzte in den 90er Jahren für den Irak-Krieg ausgebildet wurden, hätten sie im Lincoln-Hospital gelernt, weil man sich hier mit Schussverletzungen auskenne.
Völlig unerwartet stößt man mitten in der Bronx auf eine poetische Anekdote. Im Park gegenüber dem Gerichtsgebäude steht ein Denkmal für Heinrich Heine aus weißem Marmor. Das ist so ziemlich das Letzte, was man in der Bronx vermuten würde. Heinrich Heine!
Niemand wollte das Heinrich Heine Denkmal haben
Die Odyssee des Denkmals ist es nicht minder erstaunlich. Die Schnellversion: Kaiserin Sisi, die große Heine-Verehrerin, wollte das weiße Ungetüm Heines Heimatstadt Düsseldorf verehren, die das Geschenk allerdings ablehnte. Jahre später hörten New Yorker Juden von dem Denkmal und wollte es in Manhattan aufstellen. Als das Denkmal endlich in den Staaten ankam, war wiederum einige Zeit vergangen und Heine mittlerweile Katholik. Nun wollte es wieder keiner und so fand das Denkmal seinen heutigen Standort in der Bronx. Immerhin am Rande eines einstigen Prachtboulevards.
Doch wer weiß schon, wie die Zukunft der Bronx in der Stadt des Geldes aussieht. Es gebe bereits Überlegungen von Investoren, jetzt Geld in das Armutsviertel zu stecken, in der Hoffnung, die Bronx könnte eine ähnlich wundersame Wandlung erfahren, wie etwa der Meatpacking-District, der sich zum Künstlerviertel entwickelt hat.
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