Abtreibungen alarmieren Europa
In Europa nimmt die Zahl geschlechtsspezifischer Abtreibungen offenbar drastisch zu. Die UN spricht von zunehmender gezielter Tötung weiblicher Embryonen.
Brüssel/Augsburg Das UN-Entwicklungsprogramm UNDP äußerte sich besorgt über Berichte aus Ländern wie Albanien, Montenegro, Mazedonien und dem Kosovo, wo vermehrt weibliche Embryonen gezielt getötet würden. EU-Frauenpolitikerinnen haben nach eigenen Angaben ähnliche Trends auch in mitteleuropäischen Staaten wie Belgien, den Niederlanden und Dänemark beobachtet.
Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Christiane Woopen, nannte die gezielte Auswahl des Geschlechts „problematisch“. „Meine persönliche Meinung ist, dass Kinder ein Geschenk sind, das man annimmt“, sagte sie dem Bonner General-Anzeiger. Nach ihrer Darstellung ist ein Verhältnis von 105 Jungengeburten auf 100 Mädchengeburten normal. Wenn Länder aber über Jahre hinweg 112 bis 120 Jungengeburten auf 100 Mädchen aufwiesen, könne das – wie gegenwärtig schon in Indien oder China – zu sozialen Spannungen oder Gewalt gegen Frauen führen. Auch in Albanien werden bereits jetzt zwölf Prozent mehr Buben als Mädchen geboren. Das UNDP sprach von zwar „noch nicht eklatanten“, aber dennoch „erschütternden“ Zahlen. „Mädchen gelten in vielen Ländern als schwere Last“, sagte UNDP-Expertin Aferdita Onuzi.
In Deutschland ist hingegen kein Trend zu mehr Buben zu erkennen. 2001 kamen auf 100 Mädchen 105,8 Buben, 2011 waren es 105,3. Die Berechnungen beruhen auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes.
Die baden-württembergische Europaabgeordnete Franziska Brantner forderte die EU auf, mehr Druck auf jene Länder auszuüben, in denen sich Eltern gezielt gegen Mädchen entscheiden. Allerdings gebe es bisher keine rechtliche Handhabe, in den Mitgliedsländern oder bei den EU-Beitrittskandidaten einzugreifen. Beobachter gehen davon aus, dass sich das bereits in den kommenden Monaten ändern könnte, weil der politische Druck aus dem Frauenausschuss des Europäischen Parlaments wächst.
Geschlechtsbestimmung auch bei künstlicher Befruchtung
Ethikrat-Vorsitzende Woopen warnte auch vor einem Missbrauch der Präimplantationsdiagnostik (PID) zur Auswahl des Geschlechts der Kinder. Es gebe in Europa Fälle, bei denen Paare eine genetische Untersuchung von im Reagenzglas erzeugten Embryos dazu nutzten, das Geschlecht des Kindes gezielt zu bestimmen, sagte die Kölner Professorin für Ethik in der Medizin. Inoffiziellen Zahlen zufolge werden in Europa rund zwei Prozent aller PIDs nur deswegen durchgeführt, weil das Elternpaar wissen will, ob es einen Jungen oder ein Mädchen erwartet. Auch in Deutschland werde die PID nicht restriktiv genug angewendet, sagte Woopen. „Wir müssen dafür sorgen, dass die PID eine Ausnahme bleibt.“ (mit kna) "Kommentar und Politik
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