Änderungen im Steuerrecht: Jetzt häufen sich die Kirchenaustritte
Die Änderung des Einzugsverfahrens der Kirchensteuer macht der Kirche großen Ärger. Immer mehr Kirchenaustritte häufen sich an. Die Schuldfrage bleibt ungeklärt.
Plötzlich sind alle verärgert: Evangelische wie katholische Christen, die wegen einer Änderung im Steuerrecht aus der Kirche austreten. Die Geldinstitute, die sich dafür nicht verantwortlich machen lassen wollen. Die Kirchen selbst, die sich wieder einer Debatte über die Kirchensteuer stellen müssen – und sich gegenseitig kritisieren.
Neues System für Einzug der Kirchsteuer
Grund für die Aufregung ist ein neues Einzugsverfahren für Kirchensteuer auf Kapitalerträge, also Zinsen oder Dividenden. Die Kirchen haben sich dafür eingesetzt. Vom 1. Januar 2015 an wird die Kirchensteuer auf Kapitalerträge nun automatisch von den Banken einbehalten und über die Finanzverwaltung an die Kirchen weitergeleitet. Dazu müssen die Banken beim Bundeszentralamt für Steuern die Religionszugehörigkeit ihrer Kunden abfragen. Sie tun dies zum ersten Mal zwischen Anfang September und Ende Oktober 2014. Die Daten erhalten sie verschlüsselt.
Nur Verfahrensänderungen - jedoch großer Ärger
In einem Flyer, der im April ausgegeben wurde, betonte die katholische Deutsche Bischofskonferenz, dass „keine neue Kirchensteuer eingeführt und keine bestehende Kirchensteuer erhöht“ wird. Es ändere sich lediglich das Verfahren. Steuerexperten bestätigen das. Anfang des Jahres gab die Bischofskonferenz eine Pressemitteilung heraus, Banken und Sparkassen schrieben ihre Kunden an oder informierten auf Kontoauszügen, Zeitungen berichteten.
Gläubige fühlten sich trotzdem von angeblich raffgierigen Bischöfen abgezockt. Vielen war nicht klar, dass auch Kapitalerträge zum Einkommen gehören und damit kirchensteuerpflichtig sind. Das führte mutmaßlich dazu, dass Kirchensteuer auf Kapitalerträge bei Weitem nicht in dem Maße abgeführt wurde wie gesetzlich vorgeschrieben; und dies vor dem Hintergrund, dass es keinen Straftatbestand der Kirchensteuerhinterziehung gibt. Kirchensteuergesetzen der Bundesländer zufolge wird sie weder straf- noch bußrechtlich verfolgt.
Kirchensteuer als Zuschlag stand unter einer Übergangsregelung
Bereits seit 2009 leiten Geldinstitute die damals eingeführte Abgeltungssteuer von 25 Prozent auf Kapitalerträge direkt an die Finanzämter weiter. Für die Kirchensteuer, die als Zuschlag hinzukommt, sah der Gesetzgeber eine Übergangsregelung vor: Kirchenmitglieder konnten ihrem Geldinstitut ihre Religionszugehörigkeit mitteilen und es beauftragen, die Kirchensteuer auf Kapitalerträge einzubehalten. Oder sie machten entsprechende Angaben in der Steuererklärung – fällig wird die Kirchensteuer auf Kapitalerträge ab einem Jahresbetrag von 801 Euro für Ledige und 1602 Euro für Verheiratete. Die evangelische Kirche rechnet vor: Wer 10 000 Euro Zinsen im Jahr kassiere, zahle 2 444 Euro Einkommensteuer und dazu gut 220 Euro Kirchensteuer.
Die Kirchen, die bislang auf die Steuerehrlichkeit ihrer Mitglieder vertrauen mussten, betrachten die Neuregelung als das Schließen einer Gerechtigkeitslücke. Johannes Minkus, Sprecher der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, sagt im Gespräch mit unserer Zeitung: „Wenn jemand ein großes Vermögen angehäuft hat und von den Zinsen lebt, sollte er auch Kirchensteuer darauf zahlen. Wir wollen nichts Unrechtmäßiges und wir handeln nicht in böser Absicht.“ Das allerdings sei öffentlich nur unzureichend kommuniziert worden, ist sowohl aus beiden Kirchen zu hören – als auch aus Bankenkreisen.
Unklare Formulierungen in Informationsschreiben sind schuld?
Die Schuld am Kommunikationsdesaster schieben sich die Beteiligten gegenseitig zu. Der Finanzchef der Evangelischen Kirche im Rheinland, Bernd Baucks, warf den Banken gar vor, Kunden zum Kirchenaustritt geraten zu haben. Johannes Minkus sagt: „Wir haben keine Belege dafür, dass irgendeine Bank zum Kirchenaustritt aufgerufen hat. Aber es gab verwirrende Formulierungen in Informationsschreiben der Banken an ihre Kunden.“
Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, teilt die Meinung seines evangelischen Kollegen. Den Vorwurf, eine gemeinsame Informationskampagne beider Kirchen sei nicht gelungen, bezeichnete er im Gespräch mit unserer Zeitung als „falsch“. Zugleich ärgerte er sich über „Äußerungen einiger weniger evangelischer Landeskirchen, Banken hätten zum Kirchenaustritt geraten“. Der Verband der Deutschen Kreditwirtschaft wies alle Vorwürfe zurück; Banken gaben die Schuld an den für Kunden schwer verständlichen Info-Texten dem Bundesfinanzministerium, nach dessen Vorgaben sie formuliert worden seien.
Besonders Rentner fürchten um ihre Ersparnisse
Ein Schwarzer-Peter-Spiel. Die Schuldfrage ist das eine, die Folgen einer offenbar verkorksten öffentlichen Kommunikation das andere: In katholischen Diözesen wird ein deutlicher Anstieg der Kirchenaustritte für das erste Halbjahr 2014 erwartet. In der evangelischen Kirche ist von einer Austrittswelle die Rede, für die „ganz offensichtlich“ die Neuregelung der Kirchensteuer auf Kapitalerträge Hauptgrund sei.
Bundesweite Zahlen haben beide Kirchen nicht, alleine in Bayern kehrten jedoch im ersten Halbjahr 2014 knapp 15 000 Protestanten der Kirche den Rücken. Im Vorjahreszeitraum waren es 9 700. Johannes Minkus berichtet von einem „sichtbaren Anstieg der Kirchenaustritte in der Altersgruppe der über 65-Jährigen“. Weil gerade Rentner um ihre Ersparnisse fürchten. Sie zahlen meist keine Lohn- und Einkommensteuer und damit keine Kirchensteuer. Haben sie Kapitalerträge über der Freibetragsgrenze, fällt darauf aber Kirchensteuer an.
Die Diskussion ist geschlossen.