Akteneinsicht beim Bundespräsidenten
Christian Wulffs Anwälte legen Journalisten den Kreditvertrag vor, den er mit der Frau eines Unternehmers geschlossen hat. Das soll den Verdacht der Vetternwirtschaft entkräften. Doch in Berlin köcheln die Gerüchte weiter. Ein Blick in eine politische Biografie
Berlin Das Dokument, mit dem alles beginnt, ist nur eine Seite lang. Kein Briefkopf, nichts Kleingedrucktes, nur das Nötigste. „Frau Edith Geerkens gewährt Herrn und Frau Wulff ein Darlehen in Höhe von 500000 Euro.“ Handschriftlich hat die Gattin von Christian Wulffs väterlichem Freund den Zinssatz noch von 4,5 auf vier Prozent gesenkt, so dass am Ende eine monatliche Rate von 1666 Euro steht. „Das Darlehen wird ohne Verwendungszweck zur freien Verfügung gewährt“, heißt es dann noch. Und: Sollten die Wulffs mit drei Raten im Rückstand sein, darf die Wahlschweizerin Geerkens den Kredit wieder kündigen. „Oberageri, den 25. 10. 2008.“
Berlin, Leipziger Platz. In der Kanzlei von Wulffs Anwälten sitzen Journalisten in zwei Konferenzräumen um ein gutes Dutzend schlichter Aktenordner herum. In ihnen hat der Bundespräsident alles zusammentragen lassen, was aus seiner Sicht für ihn spricht: den Kaufvertrag für das Eigenheim in Burgwedel, den Vertrag über das umstrittene Privatdarlehen, das er später mithilfe eines normalen Bankkredites abgelöst hat, Kopien von Überweisungsbelegen und Grundbuchauszügen. Die Stellen, an denen es um Unbeteiligte wie die Verkäufer des Hauses geht, sind geschwärzt. Der große Rest soll vor allem eines beweisen: dass bei Christian Wulff alles mit rechten Dingen zugeht.
In Hannover hatte er den Ruf eines eher biederen Politikers
Es ist eine Premiere, wenn auch eine etwas skurrile: Ein amtierendes Staatsoberhaupt macht einen privaten Kreditvertrag öffentlich, um den Vorwurf der Vetternwirtschaft zu entkräften. Nicht der umtriebige Unternehmer Egon Geerkens, sondern dessen Frau Edith hat dem damaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen und seiner neuen Frau Bettina danach das Geld zum Kauf ihres Hauses geliehen, tilgungsfrei und ohne Sicherheiten. Der Vorwurf, Wulff habe den Landtag belogen, als er beteuerte, keine geschäftliche Beziehung zu Egon Geerkens zu haben, lässt sich so nur schwer aufrechterhalten.
Dass der erste Mann im Staate sich gerne mit reichen und einflussreichen Männern aus der Wirtschaft umgab und regelmäßig in deren Villen und Appartementanlagen seine Urlaube verbrachte, hat die Sache allerdings noch zusätzlich kompliziert. Die Fragen liegen schließlich auf der Hand: Lässt es da jemand an der nötigen Distanz fehlen? Sonnen Wulff und seine Frau sich gerne im Glanze des großen Geldes? Oder ist es am Ende nur allzu verständlich, wenn jemand mit der Biografie des Bundespräsidenten einfach nur dazugehören will zu den Schönen und Mächtigen, den Multimillionären mit dem Star-Appeal, wie es der Finanzakrobat Carsten Maschmeyer und seine Lebensgefährtin Veronica Ferres zweifelsohne sind?
Christian Wulff wächst in einfachen Verhältnissen auf. Der schmächtige Gymnasiast aus Osnabrück ist noch in der Pubertät, als er plötzlich seine an multipler Sklerose erkrankte Mutter pflegen und sich um seine jüngere Schwester kümmern muss. Seine Eltern haben sich getrennt, als er zwei Jahre alt war, auch ein Stiefvater verlässt die Familie früh. Die CDU, in die er 1975 eintritt, wird für ihn so zur zweiten Heimat – Jahre später sagt er, er sei stolz, es unter diesen Umständen so weit gebracht zu haben. Den Ehrgeiz, den der junge Wulff als Schüler nicht hat, entwickelt er umso schneller in der Politik. Mit 19 Jahren wird er Landesvorsitzender der Schüler-Union, mit 20 sitzt er im Bundesvorstand der Jungen Union.
Es ist eine entbehrungsreiche und wohl auch etwas triste Jugend. Den Hang zum Glamour, den ihm einige Medien nun attestieren, verbirgt der Politiker Wulff jedoch gut, wenn er ihn zu Beginn seiner Karriere überhaupt schon hat. In Niedersachsen, wo der gelernte Anwalt 2003 Ministerpräsident wird, hat er eigentlich ein eher gegenteiliges Image: etwas hausbacken, um nicht zu sagen bieder bis langweilig. Deshalb wundern sich Parteifreunde, die ihn aus dieser Zeit kennen, auch über die Liste seiner luxuriösen Urlaubsdomizile, die Wulffs Anwälte jetzt veröffentlicht haben. Das sei schon „hart an der Grenze des Erträglichen“, sagt ein alter CDU-Mann.
Seit seinem Einzug in die Staatskanzlei hat Wulff sechsmal Urlaub als Gast von befreundeten Unternehmern gemacht. Mal auf Norderney, mal in den USA, mal in Spanien. „Ein Spitzenpolitiker“, spottet der Spiegel, „verkehrt in Kreisen, in denen das Gehalt eines Ministerpräsidenten mickrig wirkt.“ Um die 13000 Euro verdient Wulff damals in Hannover im Monat, dazu kommen ein paar Hundert Euro als Aufsichtsrat bei Volkswagen und angeblich noch einmal 1000 Euro an Einnahmen aus einer Tankstelle, die er von seinem Vater geerbt haben soll: ein standesgemäßes Einkommen für einen Regierungschef, für ein Leben im Luxus aber zu wenig, zumal nach einer teuren Scheidung.
Peter Altmaier, ein alter Freund von Wulff, kann an den Urlaubsreisen dennoch nichts Skandalöses finden. Auch andere Politiker hätten schon Ferien bei guten Bekannten aus der Wirtschaft verbracht – zum Beispiel der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein damaliger Außenminister Joschka Fischer. So etwas sei, sagt Altmaier, „nicht sensationell, sondern ausdrücklich zulässig“. Bis Sonntag allerdings ist der barocke Saarländer einer der wenigen Christdemokraten, die „ihren“ Bundespräsidenten verteidigen. Am Montag häufen sich die Solidaritätsadressen dann auffällig – als habe jemand Mächtiges einen unsichtbaren Knopf gedrückt.
Ist es, womöglich, gar die Kanzlerin selbst, die schon mit der Auswahl von Wulffs Vorgänger Horst Köhler wenig Fortune hatte und nun nicht noch einen Präsidenten vorzeitig scheitern lassen will? Wulff, versichert Angela Merkels Sprecher Georg Streiter, tue alles, um die Dinge aufzuklären. „Da bleibt keine Frage unbeantwortet.“
So schmallippig und schnoddrig, wie Streiter das sagt, ist allerdings auch der Umkehrschluss erlaubt: Die Kanzlerin, so scheint es, ist nicht amüsiert über die Tonlage, die die Debatte über die Urlaube der Wulffs und ihren Immobilienkredit bestimmt. Wie bei Thilo Sarrazin, bei Guido Westerwelle oder Karl-Theodor zu Guttenberg gibt es kein Dazwischen, keine Grautöne, nur Schwarz und Weiß. „Wulff wankt“ hat Bild am Sonntag getitelt – und in der Koalition gibt es Abgeordnete genug, die dahinter eine Kampagne vermuten. Nach Köhlers Rücktritt jedenfalls hatten die bunten Blätter des Springer-Konzerns einen klaren Favoriten für das höchste Staatsamt: Wulffs Rivalen Joachim Gauck.
Wie immer, wenn ein Spitzenpolitiker in Bedrängnis gerät, machen in Berlin schnell abstruse Verschwörungstheorien die Runde. Geht es, am Ende, nicht gegen Wulff, sondern gegen die Frau, die ihn zum Präsidenten gemacht hat, die CDU-Vorsitzende Merkel?
Lebensberatung von der Fraktionschefin der Grünen
War Wulff nach der Scheidung so klamm, dass eine Bank ihm keinen Kredit mehr gewährt hätte? Haben die Geerkens’ ihn auch früher schon unterstützt? Renate Künast, die Fraktionschefin der Grünen, versucht sich gar als Beraterin für persönliche Krisen jeder Art. Wulff, findet sie, hätte nach der Trennung von seiner ersten Frau lieber mal zur Miete wohnen sollen, anstatt der neuen Familie gleich ein Haus zu kaufen – als ob es nicht Privatsache wäre, wo und wie jeder lebt.
Der Präsident selbst schweigt am Montag zur Sache. Im Schloss Bellevue ernennt er seinen früheren Ministerpräsidentenkollegen Peter Müller und die schleswig-holsteinische Juristin Sibylle Kessal-Wulf zu neuen Richtern am Bundesverfassungsgericht, ein Routinetermin. Auf Nachfragen zu den Ereignissen in Niedersachsen und den privaten Reisen verweist das Präsidialamt auf die Kanzlei Redeker, Sellner, Dahs. Gernot Lehr, Wulffs Anwalt dort, kennt sich aus mit Präsidenten, die in Erklärungsnot geraten. Er hat auch schon für Johannes Rau gearbeitet, als der im Verdacht stand, etwas zu eng mit der Westdeutschen Landesbank verbandelt zu sein. Für Rau hat sich der Einsatz von Lehr damals bezahlt gemacht: Er überstand alle Rücktrittsforderungen und blieb Bundespräsident.
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