Der Verfassungsschutz wusste nichts
Erstmals durften Abgeordnete Einsicht in bislang geheime Dokumente nehmen. Die V-Leute aus der rechtsextremen Szene Thüringens hatten keine Kontakte zum Terror-Trio.
Dieser Ausflug war eigentlich nicht geplant. Und im Grunde hätten sich die Mitglieder des Untersuchungsausschusses zum Versagen der Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der neonazistischen Mordserie diese Fahrt nach Berlin-Treptow zur Außenstelle des Bundesamtes für Verfassungsschutz gerne erspart. Doch sie musste sein, nachdem in der vergangenen Woche bekannt wurde, dass ein Referatsleiter des Kölner Amtes im November vergangenen Jahres wichtige Akten der „Operation Rennsteig“ über die Aktivitäten des rechtsextremen „Thüringischen Heimatschutzes“ dem Reißwolf übergeben hatte. Diese Akten enthielten die Berichte von sieben V-Leuten aus der rechten Szene Thüringens. Wegen ihrer Vernichtung war am Montag der Präsident des Verfassungsschutzamtes, Heinz Fromm, Heinz Fromm, zurückgetreten.
Erstmals werden die Klarnamen von V-Leuten nicht geschwärzt
Am Mittwoch nun erhielten die Abgeordneten Einsicht in die noch vorhandenen Restakten der „Operation Rennsteig“ – alles zusammen nach Angaben von Ausschussvorsitzendem Sebastian Edathy (SPD) rund 45 Aktenordner, in denen auch die Klarnamen der V-Leute verzeichnet sind. Zudem war es möglich geworden, mithilfe anderer Dokumente auch die vernichteten Aktenbestände in Teilen zu rekonstruieren. Ein Novum, noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik hatte der Verfassungsschutz Außenstehenden einen derart ungefilterten Einblick in die eigenen Dokumente gestattet und auch alle Namen der Verbindungsleute offengelegt. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte den Einblick in die ungeschwärzten Dokumente gestattet.
Kein V-Mann Mitglied der NSU
Nach der ersten Durchsicht zogen Edathy und die Obleute der fünf Fraktionen ein erstes Fazit: Kein vom Verfassungsschutz angeworbener V-Mann des „Thüringischen Heimatschutzbundes“ hatte einen direkten Kontakt zu den Mitgliedern des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ oder gehörte zum mittelbaren Umfeld der dreiköpfigen Terrorbande. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe ihrerseits wurden nicht als V-Leute geführt. Umso unverständlicher aus Sicht der Koalitions- wie der Oppositionsparteien, dass die Akten über sieben V-Leute genau in dem Moment geschreddert wurden, als die Bundesanwaltschaft das Verfahren wegen zehnfachen Mordes eröffnete. „Wir hätten diese Akten längst zugestellt bekommen müssen“, so Edathy und CDU/CSU-Obmann Clemens Binninger übereinstimmend. Da bei der „Operation Rennsteig“ aber auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) und das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz beteiligt gewesen seien und eigene Akten angelegt hätten, sei es nun umso dringender, auch deren Akten einzusehen.
Akten möglicherweise nicht vollständig geführt
Nach Ansicht der SPD-Obfrau Eva Högl sei die Einsichtnahme „sehr wichtig“ gewesen, „um Verschwörungstheorien“ den Boden zu entziehen und Licht in die Geheimdienstoperation zu bringen. Ihr FDP-Kollege Hartfrid Wolff ergänzte, die Rolle des MAD werde noch gesondert untersucht werden müssen: „Der MAD war federführend bei der Operation Rennsteig.“ Und Grünen-Obmann Wolfgang Wieland sagte, es könne nach der Akteneinsicht noch „keine vollständige Entwarnung“ gegeben werden, da es Hinweise gebe, dass die vorgelegten Akten nicht vollständig geführt worden seien.
Immerhin, Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière kündigte bereits an, dass die Mitglieder des Untersuchungsausschusses „so schnell wie möglich“, vielleicht sogar noch in dieser Woche, Einsicht in die Akten des Geheimdienstes der Bundeswehr nehmen können. Der MAD hatte ebenfalls Informationen über den „Thüringischen Heimatschutz“ gesammelt, um zu ermitteln, ob eventuell Bundeswehrsoldaten in dessen Aktivitäten involviert waren.
Präsident steht dem Ausschuss heute Rede und Antwort
Am heutigen Donnerstag stehen der Referatsleiter des Verfassungsschutzamtes, der die Akten dem Reißwolf übergeben hatte, sowie der am Montag zurückgetretene Präsident Heinz Fromm dem Ausschuss Rede und Antwort. Vor allem vom Auftritt des als integer geltenden Fromm erhoffen sich die Parlamentarier aller Parteien Antworten auf die Frage, warum das Treiben der Terrorbande über ein Jahrzehnt lang unentdeckt geblieben ist.
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