Gauck streichelt bei USA-Besuch die amerikanische Seele
Der Bundespräsident singt bei seinem USA-Besuch in Philadelphia das Hohelied der Freiheit. Aber er sieht auch "Irrwege".
Die Albaner des 17. Jahrhunderts kommen aus Krefeld. Mit wenig mehr als der Hoffnung auf ein besseres Leben erreichen 13 Familien vom Niederrhein am 6. Oktober 1683 mit dem Schiff das amerikanische Philadelphia. Ganz in der Nähe gründen sie eine kleine Siedlung, die sie erst Germanopolis nennen und später Germantown. Armut und Enge hätten die Auswanderer damals hinter sich gelassen, sagt Joachim Gauck, aber auch Intoleranz und Unterdrückung. Wie die Flüchtlinge, die heute nach Deutschland kämen, sehen sie in Amerika vor allem eines: „Ein Land der Hoffnung und der Chancen, der Freiheit und der Demokratie.“
Exakt 332 Jahre später steht der Bundespräsident in der Universität von Pennsylvania in Philadelphia und nimmt die Quäker aus Krefeld als Beispiel für die Integrationsgeschichte von Millionen Deutschen, die wie sie zu Amerikanern wurden. Zu Hause, in der Bundesrepublik, sind es zwar eher die besorgten Untertöne, die im Moment seine Reden über die Flüchtlingskrise prägen. Hier aber will er das Positive herausheben und nicht das Problematische: „Sich einzuigeln ist keine Option.“ Abertausende junger Amerikaner hätten ihr Leben gelassen, um Europa wieder zu einem Areal der Freiheit zu machen, sagt Gauck. „Zusammen mit den Alliierten haben sie Deutschland den deutschen Mördern entrissen, den Holocaust beendet und uns Deutschen einen Neuanfang ermöglicht.“ Und umgekehrt, auch das soll nicht unter den Tisch fallen, seien es deutsche Einwanderer gewesen, die sich zu tausenden freiwillig an die Front meldeten, um im amerikanischen Bürgerkrieg die Freiheit der Sklaven zu erkämpfen.
Gaucks erster USA-Besuch als Bundespräsident
Gaucks erster Besuch als Bundespräsident in den USA, den er am Dienstag bei Barack Obama im Weißen Haus fortsetzt, ist vor allem eines: eine Hommage an die Freiheit – und ein Kontrapunkt gegen den Antiamerikanismus. Der Präsident verschweigt nicht, wie sehr das laxe Waffenrecht, die Todesstrafe, Guantanamo oder die Lauschangriffe der NSA viele Deutsche befremden. Einmal spricht er gar von amerikanischen „Irrwegen“. Gauck aber ist nicht als Ankläger gekommen, sondern als Freund. „Seien wir ehrlich“, sagt er. „Wir haben das transatlantische Verhältnis zuletzt nicht so sorgsam behandelt wie notwendig.“ Wer aber, fragt er, stehe denn sonst noch für Stabilität in einer Welt, „in der Terroristen wüten, in der Autokraten und Diktatoren auftrumpfen, in der Staaten zerfallen und ganze Regionen im Chaos versinken.“ Die Kraft der Gesellschaften, die sich wie Deutsche und Amerikaner der Freiheit, der Gleichheit und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet hätten, „bleibt die größte Hoffnung der Verfolgten und Unterdrückten“.
Gleichwohl beunruhige ihn das kritische Amerikabild, das sich in Deutschland entwickle, räumt Gauck ein – und zeigt Verständnis für das Unverständnis in den USA. „Ich kann nachvollziehen, dass sich mancher Amerikaner fragt, warum wir Deutschen nicht selbst mehr tun zur Abwehr des Terrorismus, warum wir uns im Zweifel lieber auf die amerikanischen Dienste verlassen – nur um sie am Ende zu kritisieren.“ Und natürlich wunderten sich die Amerikaner, „dass wir die militärische Verteidigung der eigenen Freiheit und Souveränität in so hohem Maße von anderen erwarten, besonders von den Vereinigten Staaten.“ Auch deshalb, darf man annehmen, ist seine Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 in Washington so gut angekommen, als er dafür plädierte, Deutschland solle mehr Verantwortung in der Welt übernehmen, politisch wie militärisch.
Philadelphia als Symbol für Freiheit und Demokratie
Vor seiner Rede an der Universität hat Gauck die Halle der Unabhängigkeit und die berühmte Freiheitsglocke besichtigt, die am 8. Juli 1776 in Philadelphia geschlagen haben soll, als dort zum ersten Mal die amerikanische Unabhängigkeitserklärung verlesen wurde. Für ihn, der die Freiheit zum Credo seines Lebens gemacht hat, verbindet sich an diesem Ort zweierlei. Der Tag, an dem die 13 Familien aus Krefeld hier ankamen, ist für Gauck der Beginn der deutsch-amerikanischen Verbindung – und die Stadt, die sich die Einwanderer ausgesucht haben, das Symbol schlechthin für Freiheit und Demokratie.
Eine Kopie der Glocke hängt seit 1950 im Schöneberger Rathaus in Berlin, ein Geschenk der Amerikaner. In der Nacht zum 3. Oktober 1990, als Deutschland wieder eins wird, läutet sie buchstäblich ein neues Kapitel deutscher Geschichte ein. Nicht ahnend, dass er später einmal der Präsident dieses neuen Deutschlands sein würde, steht Joachim Gauck damals vor dem Reichstag – und hört ergriffen zu.
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