Mario Draghi, der mächtigste Mann Europas
EZB-Präsident Mario Draghi hat 2012 den Euro gerettet. Seitdem pumpt er Billionen in die Währungsunion - das Risiko tragen die Steuerzahler. Wann kommt die Zinswende?
Dem Italiener Mario Draghi gebührt der Ruhm, das europäische Währungssystem im Jahre 2012 vor dem Zusammenbruch gerettet zu haben. Denn ohne die massive Intervention der Europäischen Zentralbank (EZB), darin sind sich heute nahezu alle Experten einig, wäre das Euro-System damals kollabiert und der ganze Kontinent ins wirtschaftliche Chaos gestürzt worden. Ein paar Worte des EZB-Chefs genügten, um die in hellem Aufruhr befindlichen Finanzmärkte zu beruhigen und ein Mindestmaß an Vertrauen in die europäische Währung wiederherzustellen. Die Notenbank werde den Euro unter allen Umständen retten, hat Draghi erklärt – was immer dazu notwendig sei. „Whatever it takes“: das war ein Satz für die Geschichtsbücher. Darin steckte die Zusicherung Draghis, Anleihen überschuldeter, vor dem Bankrott stehender Staaten notfalls in unbegrenztem Umfang aufzukaufen und auch die zahlreichen maroden, gleichfalls überschuldeten Großbanken Europas vor dem Untergang zu beraten – alles zu dem Zweck, das drohende Ende des Euro abzuwehren und das System zu stabilisieren.
Mario Draghi, der im Grunde mächtigste Mann Europas, ließ den großen Worten Taten folgen. Zwar hat er von dem gegen den Widerstand der deutschen Bundesbank beschlossenen „OMT“-Programm, das der EZB im Ernstfall Gelddrucken ohne Limit erlaubt, keinen Gebrauch gemacht. Diese „dicke Bertha“ hält die Zentralbank, in deren Führungsgremium die Deutschen nicht mehr viel zu melden haben, für den Super-Gau einer neuen Finanzkrise bereit. Aber die EZB hat seit jenen dramatischen Tagen im Sommer 2012 ihr bereits 2010 nach dem Ausbruch der Griechenland-Krise gestartetes Kaufprogramm drastisch ausgeweitet, Billionen frisches, aus der Notenpresse stammendes Geld in das Währungssystem gepumpt und den Leitzins auf null gedrückt. 2,2 Billionen Euro – das sind gigantische 2200 Milliarden! – haben die in Frankfurt residierenden Währungshüter bisher in den Ankauf von Staatsanleihen gesteckt; zur Stunde werden monatlich 60 Milliarden aufgewendet.
Draghi unterliegt keinerlei demokratischen Kontrolle
Kenner der Materie vermuten, dass die EZB frühestens Ende nächsten Jahres einen sanften Ausstieg aus ihrer Nullzins-Politik in Angriff nimmt. Bis dahin hält Draghi, wie er eben erst bei der Nobelpreisträger-Tagung in Lindau klarmachte, an seinem Kurs fest. Der Mann ist überzeugt davon, das einzig Richtige zu tun – und es gibt niemanden, der ihm und seiner satten Mehrheit im EZB-Rat in den Arm fallen könnte. Keine Regierung, keine Bundeskanzlerin, kein Parlament. Die EZB ist, speziell auf Wunsch der Deutschen, nach dem Vorbild der Bundesbank konstruiert worden und unterliegt keinen Weisungen der Politik.
Draghi dreht unter dem Applaus seiner italienischen und südeuropäischen Verbündeten ein großes Rad, ohne irgendeiner demokratischen Kontrolle zu unterliegen. Diese Unabhängigkeit war so gewollt, damit sich die EZB frei von politischen Direktiven um die Geldwertstabilität kümmern kann. Sie sollte ausdrücklich keine Wirtschafts- und Finanzpolitik machen und schon gar nicht – das ist auch im Maastricht-Vertrag verankert – Staatsfinanzierung betreiben. Es entbehrt nicht einer gewissen historischen Ironie, dass nun ausgerechnet die Deutschen zusehen müssen, wie die EZB als Instrument der Politik benutzt wird und die alten Grundsätze der Bundesbank nichts mehr gelten. Die meisten Länder der Euro-Zone haben an Draghis Strategie nichts auszusetzen, hält er damit doch Staaten und Banken finanziell über Wasser. Nur in Deutschland, dem Land der Sparer und einer auf möglichst stabile Staatsfinanzen ausgerichteten Politik, stößt die EZB auf anhaltend starken Widerstand – was Mario Draghi allerdings, wie er soeben in Lindau durchblicken ließ, nicht sonderlich beeindruckt. Seine Botschaft lautete: Ungewöhnliche Krisen (und die Euro-Krise ist bei weitem nicht ausgestanden) erfordern ungewöhnliche Maßnahmen – Verträge hin oder her.
Es blieb offen, wann Draghi die Zügel wieder etwas anziehen und die „verrückte Situation“ (Wolfgang Schäuble), dass Geld keinen Preis mehr hat und der Zins als Marktsteuerungsinstrument ausfällt, verändern will. So oder so wird es eine schwierige Operation, weil viele Staaten (darunter das große Italien) am Tropf der EZB hängen und bei einem Anstieg der Zinsen umgehend in Probleme geraten würden. Denn die Zeit, die Draghi mit dem Ankauf von Schuldtiteln für Reformen und eine gründliche Sanierung des Bankensektors kaufen wollte, wurde ja nicht wirklich genutzt. Deshalb bleibt auch das Wachstum der Wirtschaft, das die EZB mit dem Gelddrucken ankurbeln wollte, weit hinter den Erwartungen zurück. Hinzu kommt, dass alle Anläufe zu einer Reform der Währungsunion und einer Koordination der nationalen Wirtschafts- und Finanzpolitiken im Sande verlaufen sind. Man sieht nicht, wie sich der „deutsche“ Euro-Block und der südeuropäische „Club Med“ angesichts ihrer sehr unterschiedlichen Schuldenphilosophien auf ein neues, auch wirklich verbindliches und eingehaltenes Regelwerk verständigen könnten.
Überschreitet Draghi sein Mandat?
Draghis Rechnung ist insofern aufgegangen, als der Euro den Sturm überstanden hat und heute wieder stabil wirkt. Auch die Angst vieler Deutscher, der Euro werde weicher als die geliebte D-Mark, war unbegründet. Aktien- und Immobilienbesitzer sowie Häuslebauer profitieren von dem extrem billigen Geld; der deutsche Staat hat Zinsen in eminenter Höhe eingespart. Die Zeche zahlen die Sparer, denen das Vermögen unter den Händen wegschmilzt. Die Altersvorsorge von Millionen ist gefährdet. Die Nullzinspolitik birgt zudem das Risiko gewaltiger Immobilien- und Aktienblasen und entledigt – da der Geldnachschub ja gesichert ist – Krisenstaaten des Zwangs, ihren Laden mit Reformen in Schwung zu bringen. Und was passiert, wenn das EZB-Kartenhaus unter dem Druck der aufgehäuften Billionen-Schulden einstürzt und die zusätzlich bei der Bundesbank angehäuften „Target“-Verbindlichkeiten anderer Staaten (über 800 Milliarden Euro) nicht bedient werden? Dann haftet der Steuerzahler. Und wie viel Geld lässt sich überhaupt drucken, ehe der Geldwert in Gefahr gerät? Schulden mit immer neuen Schulden zu bekämpfen, muss irgendwann schiefgehen.
Es ist in deutschem Interesse, die Nullzinspolitik zu beenden und die damit einhergehende Umverteilung zwischen Nord- und Südeuropa zu stoppen. Die deutsche Politik, die das brisante Thema aus dem Wahlkampf bewusst heraushält, ist dazu nicht imstande. Bleibt das Bundesverfassungsgericht, das mit der EZB eben erst ins Gericht gegangen ist und Draghi vorwirft, sein Mandat zu überschreiten und das Verbot monetärer Staatsfinanzierung zu missachten. Karlsruhe legt den Fall dem Europäischen Gerichtshof vor, es geht ja um europäisches Recht. Ob der Europäische Gerichtshof den Sparern beispringt und Draghi zur Umkehr zwingt? Wohl kaum. Die Luxemburger Richter finden Draghis expansive Geldpolitik bekanntlich ganz okay und vereinbar mit den Verträgen. Es ist nicht zu erwarten, dass Deutschlands höchstes Gericht diesmal mit seinen am Grundgesetz orientierten Argumenten durchdringt. Draghi darf also mit einer Verlängerung seines Freifahrtscheines rechnen.
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Draghi - der mächigste Mann Europas? Glaube ich nicht. Im übrigen wäre er zu stoppen wenn er nachweislich gegen sein Pflichten cverstößt. Dieser Nachweis kann jedoch aktuell nicht gelingen.