„Only god could help“
Sie haben ihr Leben riskiert, um Schutz zu finden. Jetzt sind viele Flüchtlinge in Sicherheit. Aber wie geht es mit ihnen weiter? In Dillingen haben wir Fauzia und Futsum begleitet. Sie warten auf das Ergebnis ihres Asylverfahrens. Es könnte alles ändern.
Am meisten quält die Ungewissheit. Es ist das Warten, das Fauzia und Futsum den Schlaf raubt. Tag und Nacht nur eine Frage: Darf ich bleiben?
Sie haben Krieg erlebt und Gewalt, haben ihre Familien zurückgelassen und alles aufgegeben. Fauzia und Futsum haben ihr Leben riskiert, um Schutz zu finden. Schutz vor Krieg und Terror. Schutz vor radikalen Systemen. Und sogar Schutz vor der eigenen Familie.
Fauzia und Futsum sind zwei von über 500 Asylbewerbern im schwäbischen Landkreis Dillingen. Sie kommen aus verschiedenen Ländern, sprechen andere Sprachen und lebten lange in unterschiedlichen Kulturen. Eines jedoch teilen sie: Das Warten auf die Entscheidung über ihr Asylverfahren.
Flucht vor dem Militär
Futsum Hagos hat seine Heimat Eritrea verlassen. Das kleine Land im Nordosten Afrikas wird von einem menschenverachtenden Regime beherrscht. Das Land befindet sich in einer Art Dauerkriegszustand mit dem Nachbarland Äthiopien, auch wenn offiziell Frieden herrscht. Jeder Mann muss im Alter von 18 Jahren Militärdienst leisten. So auch Futsum, der kurze Zeit nach seinem Highschool-Abschluss einberufen wurde. Damals sollte er als Soldat im Krieg gegen Äthiopien kämpfen. Futsum sagt: „Was bedeutet dieser Krieg? Ich weiß es nicht!“ Jahre verbrachte er beim Militär, bis er den Entschluss fasste zu fliehen.
Im vergangenen Jahr sind 210 Flüchtlinge in den Landkreis Dillingen gekommen. Sie stammen wie Futsum aus Eritrea, aus den syrischen Bürgerkriegsgebieten, Afghanistan, Nigeria, Albanien oder dem Senegal. Bilder, wie sie 2014 aus der hoffnungslos überfüllten Bayernkaserne in München öffentlich wurden, zeigen, dass die Landesregierung nicht auf die hohe Flüchtlingszahl vorbereitet war. „Die großen Schwierigkeiten im letzten Herbst wären zu vermeiden gewesen, wenn die Staatsregierung früher auf das Problem reagiert hätte“, erklärt Peter Alefeld. Er ist Abteilungsleiter für Soziales im Dillinger Landratsamt und damit zuständig für das Thema Asyl.
Mit einem Fingerhut voll Wasser in der Sahara
Futsum sitzt gelassen im Stuhl. Er trägt eine Highschooljacke, wie man sie aus amerikanischen Teeniefilmen kennt. Unter seinem Pullover ragt der Hemdkragen hervor. Er hat sich für den Termin mit der Zeitung schick gemacht. Wenn er über seine Vergangenheit spricht, verzichtet er auf Denkpausen. In bemühtem Englisch skizziert er die Etappen seiner Flucht. Äthiopien, Sudan. Dann wird seine Stimme brüchiger. Die Fluchtroute führte Futsum mit 45 anderen mitten durch die Sahara. Wochen ohne Essen. „15 Menschen sind gestorben“, sagt er. Wie hat er das überlebt? Futsum deutet auf die Wasserflasche, die auf dem Tisch steht. Mit Zeigefinger und Daumen misst er die Höhe des Deckels ab, als wolle er sagen: Damit. Täglich ein Fingerhut voll Wasser und das wochenlang in der größten Trockenwüste der Erde.
Einem Schlepper bezahlte Futsum anschließend 700 Dollar. Er sollte ihn zusammen mit anderen Flüchtlingen über das Meer nach Italien bringen. Der 34-Jährige legte sein Schicksal in fremde Hände. Am Ende erreichte er die italienische Flüchtlingshochburg Lampedusa. Heute sagt er: „Only god could help“.
Wie Futsum erging es vielen Flüchtlingen, die heute in Deutschland leben. Auf lebensgefährlichen Routen suchten sie den Weg nach Europa. Auf der Suche nach Sicherheit und Wohlstand.
Vielerorts haben sich Helferkreise gebildet
Die dramatischen Erzählungen der Asylbewerber haben vielerorts eine Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst. „Wir können nicht alle Probleme lösen. Aber wir können den Menschen, die zu uns kommen, ein menschenwürdiges Leben ermöglichen.“ Das sagt Georg Schrenk. Der Oberst a. D. ist seit vergangenem Herbst Koordinator für den Dillinger Helferkreis. Der hemdsärmelige Pensionär hat Verantwortung für Asylsuchende in Dillingen übernommen. Um sich herum hat Schrenk eine fleißige Helferschar versammelt – vom Rentner bis zur Studentin. Sie greifen den Einwanderern bei Amtsgängen, Arztbesuchen oder Einkäufen unter die Arme, organisieren Sport und haben ein offenes Ohr für deren Sorgen. „Manchmal reicht es, einfach nur zuzuhören“, sagt Schrenk. Sogar Deutschunterricht geben die Bürger.
Auch Fauzia Ahamdzai hat hier große Unterstützung gefunden. „Die Menschen in Dillingen sind so nett“, sagt die Afghanin. Ihre langen, braunen Haare und das freundliche Gesicht hätte sie in ihrer Heimat Kabul verschleiern müssen. Hier ist sie eine normale Frau.
Fauzia genießt den Deutschunterricht, den die Dillinger Paten zweimal wöchentlich halten. Gerne würde sie die Sprache noch schneller lernen, sagt sie und strahlt. Fauzia redet bereits jetzt in verständlichem Deutsch.
Staatlichen Deutschunterricht erhalten nur Asylbewerber mit Status
In der Bundesrepublik gibt es für Asylbewerber, deren Verfahren noch läuft, keine staatlichen Deutschkurse. Das bremst die Integration. Vor allem, wenn man bedenkt, dass manche Bewerber Jahre auf ihr Ergebnis warten. Das Problem kennt auch das Dillinger Landratsamt. Abteilungsleiter Peter Alefeld erklärt im Gespräch: „Der wichtigste Integrationsschritt ist der Spracherwerb. Daher ist es unabdingbar, dass staatlich geförderte Sprachkurse für jeden Asylbewerber angeboten werden.“ Noch müssen dafür ehrenamtliche Helfer sorgen.
Fauzia und Futsum sind dankbar, dass sie in Dillingen ein neues Zuhause gefunden haben. Zumindest vorübergehend. Denn noch weiß keiner der beiden, ob er bleiben darf. Die Ungewissheit ist ständiger Begleiter. „Wenn ich fernsehe, sehe ich zwar die bunten Bilder. Aber in meinem Kopf ist nur ein Gedanke“, sagt Fauzia.
Viele Asylverfahren dauern sogar Jahre
Das Asylverfahren ist ein bürokratisches Konstrukt. Nach der Ankunft in Deutschland werden alle Flüchtlinge in sogenannten Erstaufnahmestellen registriert. Danach werden sie den Landkreisen zugeteilt. Dann heißt es Warten. In einem Interview soll der Asylbewerber Beamten später erklären, wieso er seine Heimat verlassen hat. Der Staat will sichergehen, dass er keine Wirtschaftsflüchtlinge aufnimmt. Irgendwann folgt die Entscheidung. Das heißt aber nicht zwingend Anerkennung oder Abschiebung. Auch dazwischen gibt es Möglichkeiten, wie zum Beispiel eine einjährige „Duldung“. Dass das Verfahren Monate, oft sogar Jahre dauert, belastet die Asylsuchenden extrem.
Fauzia Ahamdzai hat ambitionierte Pläne. Wenn sie in Deutschland anerkannt wird, will sie schnell einen staatlichen Deutschkurs besuchen und arbeiten. Ihr Traumjob: Modeverkäuferin. Als Dolmetscherin will sie anderen Afghanen helfen. Die 40-Jährige wurde in ihrer Heimat früh verheiratet. Der Mann hat ihr das Arbeiten verboten. In Deutschland sieht sie die Chance für ein neues, ein freieres Leben. Weshalb sie ihre Familie in Afghanistan verlassen hat, möchte sie uns nicht sagen.
Futsum Hagos hat eine Reise des Horrors hinter sich. Nachdem er völlig erschöpft in Lampedusa gelandet war, ließen ihn die italienischen Behörden ziehen. Über Frankreich kam er nach Deutschland. Er sagt: „Ich habe in Eritrea keinen Beruf gelernt. Aber ich würde in Deutschland gerne eine Ausbildung machen.“ Der erste Schritt ist schon getan. Georg Schrenk vom Dillinger Helferkreis hat ihm einen kleinen Job in einer Schreinerei verschafft. Es könnte für den 34-Jährigen der erste richtige Beruf seines Lebens werden.
Noch schwebt über den beiden die Ungewissheit. Für Fauzia und Futsum geht es um die Zukunft. Eigentlich geht es für sie um alles. Die Entscheidung über ihren Status könnte jede Hoffnung zerstören. Oder den Weg in ein neues Leben ebnen. Bis es soweit ist, müssen sie geduldig sein. Vielleicht noch über Jahre.
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