Der Rückkehrer
Ein Jahr pausierte der norwegische Skispringer Anders Jacobsen. Jetzt ist er zurück und eilt von Sieg zu Sieg
Wer Anders Jacobsen am Rande der Vierschanzentournee beobachtet, könnte den Eindruck gewinnen, da spaziere ein völlig Unbeteiligter umher. Der Norweger ist locker und tiefenentspannt, keine Spur von Nervosität oder gar Anspannung. Für Jacobsen ist die Welt in Ordnung. Das wortkarge Nordlicht hat die ersten beiden Springen der Vierschanzentournee gewonnen, führt damit natürlich auch die Gesamtwertung an und kann diese beim heutigen dritten Springen in Innsbruck weiter ausbauen. Dass dem so ist, war vor diesem Winter nicht vorherzusehen – ganz im Gegenteil.
Anders Jacobsen: "Ich wollte nicht mehr den ganzen Winter von meiner Familie getrennt sein"
Die komplette vergangene Saison hatte sich Jacobsen eine Auszeit vom Weltcup genommen. Offizieller Grund: Motivationsprobleme. Der 27-Jährige blieb lieber bei seiner Familie. Im Januar 2011 hatte seine Frau Birgitte den gemeinsamen Sohn Isak zur Welt gebracht. „Ich wollte nicht mehr den ganzen Winter unterwegs und von meiner Familie getrennt sein“, sagt Jacobsen im Rückblick. Wegen gesundheitlicher Probleme musste er seinen Sohn häufig nach Oslo bringen. Die Relationen im Leben des schmalen Athleten hatten sich komplett verschoben.
Ganz ohne Skispringen kam Jacobsen aber nicht aus. Zu Hause hielt er sich fit. Bei der Skiflug-WM im Februar 2012 im heimischen Vikersund war er als Vorspringer im Einsatz, ebenso beim Auftaktspringen der vergangenen Vierschanzentournee in Oberstdorf. Im Sommer entschied sich Jacobsen dann dazu, seinen Sport noch einmal mit aller Konsequenz zu betreiben. „Skispringen ist das, was ich am besten kann. Es hat mir gefehlt“, sagt der gelernte Klemptner heute. Norwegens Trainer Alexander Stöckl holte ihn zurück ins Weltcup-Team. Dort überzeugte Jacobsen sofort und verpasste zum Auftakt in Lillehammer als Vierter knapp einen Podestplatz.
Jacobsen vor dem Gesamtsieg der Vierschanzentournee
Mit seinen beiden Siegen in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen steht er nun vor seinem zweiten Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee. Schon in der Saison 2006/2007 hatte er diese gewonnen. Auch dieser Triumph kam völlig überraschend, denn es war Jacobsens erste Saison im Weltcup.
Schon damals zeichnete er sich aber dadurch aus, dass er mehr riskiert als die meisten seiner Konkurrenten. Er springt mit mehr Geschwindigkeit und mehr Körpervorlage. Dieses Risiko kann dazu führen, dass er einen Sprung frühzeitig abbrechen muss, um einen Sturz zu vermeiden. Oft genug zahlt sich dieses Risiko aber auch aus – das nächste Mal vielleicht schon heute in Innsbruck.
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