Thomas Müller: "Möglich ist alles"
Trotz zahlreicher Negativ-Meldungen zieht Thomas Müller ein positives Fazit nach dem DFB-Trainingslager. Im Interview erzählt, wie er die Chancen in Brasilien einschätzt und warum er vor Miroslav Klose so viel Respekt hat.
Herr Müller, drei Ihrer Bayern-Kollegen sind derzeit verletzt. Ist das der Tribut einer anstrengenden Saison in drei Wettbewerben mit vielen Spielen?
Müller: Das hat nichts mit dem Verein zu tun, sondern ist ein blöder Zufall. Im Fußball gehören Verletzungen dazu, das ist nun mal eine Kontaktsportart. Wichtig ist jetzt nur, dass alle fit werden und nicht überhastet anfangen.
Was ist bei der WM für die deutsche Mannschaft möglich?
Müller: Wir fahren auf jeden Fall nach Brasilien, um den Titel zu holen. Das ist unser Ziel. In jedem Spiel, in jeder Minute, in jeder Sekunde wollen wir das zeigen. Aber die anderen Mannschaften versuchen eben auch, ihr Bestes zu geben. Im Fußball ist so viel Zufall dabei, da kann man alles andere als eine Vorhersage treffen. Sonst würden ja die ganzen Sportwettenfirmen pleitegehen.
Die öffentliche Erwartungshaltung in Deutschland scheint etwas gesunken zu sein . . .
Müller: Möglich ist alles bei uns. Vielleicht ist die Erwartungshaltung im Vergleich zu den Wochen nach unserem Champions-League-Sieg im vergangenen Jahr etwas gesunken. Es geht ja heutzutage immer recht schnell: ein Zeitungsartikel, und schon ist die Meinung im Land wieder anders. Wir werden elf deutsche Spieler auf dem Platz haben, die alles für den Bundesadler geben werden. Dann haben wir natürlich Ansprüche und zählen zum Favoritenkreis. Der besteht aber aus mehreren Mannschaften.
Was ist nötig für den Titelgewinn?
Müller: Wenn ich das wüsste, das sieht man meist erst hinterher. Auf jeden Fall spielen auch immer Glück und Pech eine Rolle. Wir sind keine Roboter, die man vorher auf maximale Tagesform programmieren kann.
Spüren Sie, wie die Anspannung langsam steigt?
Müller: Eine WM ist von internationaler Bedeutung. Es ist kein einfaches Fußballspiel, das da stattfindet, es ist mehr. Das spürt man.
Sie sind Champions-League-Sieger, spielen mit dem FC Bayern seit Jahren auf Top-Niveau. Ist da eine WM tatsächlich das Größte?
Müller: Na klar. Das größte Sportereignis ist und bleibt einfach die WM. Das spürt man an jeder Straßenecke. Deswegen ist meine Vorfreude riesengroß. Bei meiner ersten WM 2010 war ich wie in einer Kapsel eingeschlossen und wurde da reingeworfen. Ich wusste damals gar nicht, was mit mir geschieht. Jetzt kann ich die WM im Vorfeld viel intensiver wahrnehmen und stelle fest: Es ist etwas ganz Besonderes.
Tatsächlich haben Sie auch in der Nationalmannschaft in den vergangenen vier Jahren eine rasante Entwicklung hinter sich gebracht. Wie erleben Sie das in der Rückschau?
Müller: Damals habe ich morgens einfach auf den Trainingsplan geschaut, wann man im Bus sitzen muss. Ich hatte gar keine Zeit, mir groß Gedanken zu machen. Wenn du als 20-Jähriger zur Nationalmannschaft kommst, musst du erst mal schauen, dass du deine Beine sortiert bekommst. Besonders ich (lacht). Heute versuche ich, mehr Verantwortung im Team zu übernehmen. Diese Rolle erwuchs aus der Tatsache, dass ich jetzt vier Jahre konstant dabei war.
Sie gelten als sehr ehrgeizig, war das immer schon so?
Müller: Ja, vom Typ her wollte ich schon immer das Größtmögliche erreichen. Ich habe, egal, wo ich angetreten bin, immer versucht, den Titel zu holen. Auch gegen Ältere. Als Zwölfjähriger habe ich bei mir im Dorf mal bei einem Tennis-Herrenturnier mitgespielt. Das wollte ich gewinnen und habe es glücklicherweise auch geschafft. Ich will immer den größtmöglichen Erfolg, wobei mir nachgesagt wird, dass ich das alles ganz gut reflektieren kann. Mir ist bewusst, dass man einen WM-Titel nicht garantieren kann. Du musst dein Bestes geben und schauen, was Du bekommst.
2010 waren Sie als Frischling gleich Torschützenkönig der Weltmeisterschaft. Ist das wieder ein Ziel?
Müller: Ehrlich gesagt, ist das ein Randaspekt, für mich zählt die Mannschaft. Realistisch eingeschätzt ist es auch nicht sehr wahrscheinlich, dass ich das wiederhole. Das hat noch keiner geschafft. Aber ich werde sicher auch nicht sagen: Ich probier’s nicht.
Ihr Teamkollege Miroslav Klose liegt in der ewigen WM-Torjägerliste mit 14 Toren gemeinsam mit Gerd Müller auf Rang zwei. Sie haben noch ein paar Turniere vor sich . . .
Müller: Stopp, stopp: Man hat immer nur das nächste Turnier Zeit. Man weiß nie, was in vier Jahren sein wird.
Trauen Sie Klose zu, dass er Ronaldos Rekord von 15 WM-Toren knackt?
Müller: Zuzutrauen ist es ihm immer, dass er sich mal in einen Pass von mir reinstellt. Ich schieße ihn schon an, wenn es sein muss. Nein, im Ernst: Vor dem Miro muss man den Hut ziehen. Er hat mit dem Profifußball ein bisschen später begonnen und deshalb vielleicht noch ein paar Körner mehr drin. Aber selbst wenn wir Sprints machen, zieht er vorne mit.
Er hat selbst mal gesagt, er sei immer noch der Zweitschnellste . . .
Müller: Naja, der Miro ist Angler, die fangen auch immer soooooo einen Riesenfisch (lacht). Der Miro hat Sprungkraft und Schnellkraft, der wird sein Ding machen. Ob er den Torrekord knacken wird, weiß ich nicht. Ich hoffe es, dann hätte er auf jeden Fall schon mal mindestens zwei Tore für uns gemacht.
Die WM in Brasilien wird aufgrund der klimatischen Bedingungen eine WM der Strapazen. Sie spielen meist mittags zur Ortszeit. Wie gehen Sie damit um?
Müller: Dafür, dass dann unsere deutschen Mitbürger eine schöne Grillparty zur Abendzeit machen können, gehen wir doch gerne in die brütende Hitze und holen da die Kohlen aus dem Feuer. Das ist natürlich nicht die angenehmste Spielzeit, aber unsere Gegner haben sie auch. Man muss einfach clever spielen. Man muss körperlich fit sein, das ist klar. Dafür haben wir hier in Südtirol gearbeitet, wir waren hier nicht zum Urlaubmachen.
War das Trainingslager so hart wie die Saisonvorbereitung?
Müller: Nein. Wir haben keine Waldläufe gemacht. Wir sind ja alle im Saft, kommen frisch aus dem Bundesligabetrieb. Aber wir sind in den Punkten Spritzigkeit, Schnelligkeit und im Krafttraining schon in den intensiveren Bereich gegangen. Ein Pulsschlag von 170 war nichts Ungewöhnliches.
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