Dieser Mann revolutioniert mit Netflix das Fernsehen
Mit seinem Internetdienst Netflix bringt Reed Hastings die traditionellen Sender in Bedrängnis. Aber er steht auch selbst unter Druck. Denn die Konkurrenz durch Amazon ist groß.
Der Mann, vor dem sich alle Fernsehsender fürchten, ist eigentlich ein ziemlich unauffälliger Typ. 56 Jahre alt, meist in Jeans und Jackett, graue Tupfer im dunklen Haar. Früher diente Reed Hastings im Friedenscorps, einem US-amerikanischen Entwicklungsdienst. Er unterrichtete Mathematik im afrikanischen Swasiland. Heute hat er dem klassischen Fernsehen den Krieg erklärt – auch wenn er das selbst wahrscheinlich nie so ausdrücken würde.
Hastings ist der Gründer des Internetdienstes Netflix. Auf dem Online-Portal können Nutzer jederzeit Filme und Serien anschauen, „Streaming“ nennen der Amerikaner und seine Mitstreiter das. Ein Algorithmus sucht den Abonnenten stets das heraus, was sie als Nächstes interessieren könnte. Das Portal zeigt aber nicht nur bekannte Kinofilme und Serien, sondern auch eigene Produktionen. Mit seiner ersten eigenen Serie schrieb Netflix sofort Fernsehgeschichte: Das Politdrama „House of Cards“ mit Oscar-Preisträger Kevin Spacey gewann als erste Internetserie überhaupt mehrere Emmys und Golden Globes.
Seinen Dienst hat Reed Hastings vor 19 Jahren gegründet, damals noch als Internet-Videothek, die den Nutzern DVDs nach Hause schickte. Zehn Jahre später führte er das Online-Streaming ein. Heute hat Netflix nach eigenen Angaben 83 Millionen Nutzer in 190 Ländern. Die meisten Abonnenten sind zwischen 14 und 29 Jahre alt. Allein zwischen Juli und September kamen 3,6 Millionen neue Nutzer dazu – über eine Million mehr als erwartet.
Das ließ den Börsenkurs des Unternehmens im dritten Quartal schlagartig um ein Fünftel nach oben schnellen, nachdem er vorher wegen eines eher schleppenden Nutzer-Wachstums eingebrochen war. Aktuell steht die Aktie bei 111 Euro. Umsatz und Gewinn stiegen ebenfalls: Zwischen Juli und September setzte Netflix 2,29 Milliarden Dollar um, 32 Prozent mehr als in den Vormonaten. Der Konzern machte 51,5 Millionen Dollar Gewinn – 75 Prozent mehr als im Vorjahr.
Netflix hat das Streamen revolutioniert
Der Internetdienst hat seinen Gründer reich gemacht. Auf 1,5 Milliarden Dollar schätzt das Magazin Forbes das Vermögen von Hastings. Der Konzernchef gehört zu den mächtigen Männern des Internets, zu den Visionären dieser neuen Welt. Manch einer sieht ihn bereits in einer Reihe mit dem Amazon-Chef Jeff Bezos oder dem verstorbenen Apple-Gründer Steve Jobs.
Dabei hat Reed Hastings das Streamen gar nicht erfunden. Aber er hat es revolutioniert. Hastings verspricht nicht weniger als eine Umwälzung, an deren Ende ein anderes, ein mutigeres, ein besseres Fernsehen steht. Ein Fernsehen, das die Inhalte zeigt, die die Abonnenten sehen wollen. Und ein Fernsehen, das nicht an starre Programmzeiten gebunden ist, sondern für jeden immerzu verfügbar. „Lineares Fernsehen wird es bald nicht mehr geben, außer im Museum“, hat Hastings kürzlich gesagt. Es ist ein Satz, den er oft wiederholt.
Der Netflix-Chef versteht es, seinen Nutzern mit vergleichsweise wenig Aufwand das Gefühl zu geben, dass er ihnen zuhört, dass sie ihm wichtig sind – wichtiger als den großen Fernsehsendern. Wie das aussehen kann, lässt sich an kaum einem anderen Tag besser erklären als heute. Um Mitternacht kalifornischer Zeit hat Netflix in allen 190 Ländern gleichzeitig vier neue Folgen der US-Serie „Gilmore Girls“ freigeschaltet. Die Kult-Sendung, die die Geschichte einer ungewöhnlichen Mutter-Tochter-Beziehung erzählt, lief Anfang des Jahrtausends im Fernsehen und wurde 2007 nach sieben Staffeln abgesetzt – zum Unmut vieler Fans.
Die Nachricht, dass Netflix die Sendung fortsetzt, hat bei vielen, meist weiblichen Zuschauern fast fanatische Begeisterung ausgelöst. Denn es ist ein Schritt, der im normalen Fernsehen wohl kaum denkbar wäre: zu teuer, zu aufwendig, zu unsicher. Bei Netflix, so die Botschaft, ist das anders. Der Internetdienst generiert sich als Ort, an dem Fernsehträume wahr werden.
Der Vergleich von Fernsehen und Netflix ist nicht angebracht
Aber lassen sie sich überhaupt derart vergleichen und gegeneinander ausspielen – die alte und die neue Fernsehwelt? Nein, sagt Medienwissenschaftler Christian Stiegler. Der Österreicher lehrt an der Brunel University in London und erforscht den Erfolg von Netflix. Der Vergleich gerade mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland sei „verzerrt und nicht angebracht“. Denn anders als die öffentlich-rechtlichen Sender habe Netflix keinerlei bildungspolitischen Auftrag – und kann sich deshalb voll und ganz auf eine Handvoll aufwendiger Produktionen konzentrieren. Stiegler sieht die Konzentration auf immer persönlichere, durch einen Algorithmus ausgewählte Fernsehinhalte durchaus kritisch. „Es ist gefährlich, wenn Menschen nur noch sehen, was sie sehen möchten.“ Die kritische Auseinandersetzung mit Themen, fremde Impulse – all das gehe ein Stück weit verloren.
Dazu kommt: Von Kritikern hochgelobte Sendungen wie „House of Cards“ oder das Gefängnis-Drama „Orange is the New Black“ täuschen nach Stieglers Meinung in der öffentlichen Wahrnehmung oft darüber hinweg, dass Netflix im Vergleich zum Massen-TV noch immer ein Nischenangebot ist. Nach Berechnungen der Unternehmensberatung Goldmedia schauen rund vier Millionen Deutsche regelmäßig Filme oder Serien über den Internetdienst. Zum Vergleich: Allein der letzte Tatort in der ARD hatte rund 8,8 Millionen Zuschauer.
Amazon plant, Netflix Konkurrenz zu machen
Allerdings wächst der Streaming-Markt in Deutschland schnell: Seit 2014 hat sich die Zahl der Nutzer aller Dienste verdoppelt, von zwölf auf 24 Millionen. Weit vor Netflix liegt hierzulande noch Amazon. Der Online-Riese aus Seattle bietet seinen Streamingdienst im Paket mit dem Premium-Lieferdienst Prime an und setzt ebenfalls auf Eigenproduktionen. Nach Angaben von Goldmedia nutzen knapp 7,6 Millionen Deutsche Amazon Instant Video. Der Konzern fordert Netflix jetzt auch im Rest der Welt offen heraus: Ende vergangener Woche wurde bekannt, dass der Videodienst im Dezember in 200 Ländern freigeschaltet werden soll – und damit, wie Netflix, nahezu weltweit verfügbar ist.
Fragt man Reed Hastings, wie er die Konkurrenz bewertet, gibt er sich gelassen. „Ich bin ein Prime-Nutzer“, sagte er dem britischen Guardian. „Wenn es dort eine gute Show gibt, schaue ich sie mir an. Aber für mich ist Amazon nur ein Wettbewerber von vielen.“
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