Europäische Zentralbank: Karlsruhe scheut den Euro-Eklat
Die Politik der Europäischen Zentralbank ist umstritten, aber laut Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nicht verfassungswidrig. Deutschland kann sich ihr verweigern. Theoretisch.
Welche Macht ein Mann über eine Währung haben kann, weiß Europa schon seit den frühen neunziger Jahren. Damals ging der Investor George Soros eine halsbrecherische Wette auf den Absturz des britischen Pfundes ein, indem er sich Pfund im Gegenwert von zehn Milliarden Dollar lieh, sie in D-Mark, französische Franc und andere Devisen wechselte und den Kurs des Pfundes so immer weiter drückte. Nachdem er seinen Einsatz günstig zurückgetauscht hatte, hatte er mehr als eine Milliarde Dollar verdient und seinen Ruf weg: Der Kerl, der die Bank von England knackte.
Um den Euro vor ähnlichen Attacken zu schützen, hat Mario Draghi ein ebenso griffiges wie umstrittenes Gegenmittel gefunden. Im Falle eines Falles würde die Europäische Zentralbank, der er als Präsident vorsteht, unbegrenzt Anleihen kriselnder Eurostaaten aufkaufen, um die gemeinsame Währung zu retten – koste es, was es wolle.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, dass ein solcher geldpolitischer Drahtseilakt unter Auflagen erlaubt ist, wird er mit Genugtuung zur Kenntnis genommen haben. In keinem anderen Land ist der Verdruss über seine Politik der Niedrig- und Niedrigstzinsen größer. Kein Land aber profitiert umgekehrt auch so vom Euro, den Draghi buchstäblich mit allen Mitteln verteidigen will.
Europäische Zentralbank: Bundesverfassungsgericht fällt Urteil
Das Urteil aus Karlsruhe zieht nun immerhin ein paar Leitplanken ein, innerhalb derer Bundestag und Bundesbank ihm folgen können. Es ist kein Freibrief für Draghi, aber es lässt der Notenbank die Unabhängigkeit und die Spielräume, die sie für sich beansprucht – und mit Milliarden und Abermilliarden auch nutzt. Aus dem sogenannten OMT-Topf, über den das Verfassungsgericht jetzt verhandelt hat, ist zwar bisher kein Cent geflossen. Über ein anderes Programm aber kauft die Zentralbank schon seit mehr als einem Jahr im großen Stil Anleihen auf. Faktisch finanziert sie mit diesem billigen Geld natürlich die Krisenländer in Südeuropa – nicht zuletzt deshalb musste Draghi den zweiten Topf, den für den größten anzunehmenden Unfall, noch nicht öffnen.
So gesehen hat Karlsruhe nur über die Ausnahme entschieden und nicht über die Regel. Nach einem im Kern zustimmenden Votum des Europäischen Gerichtshofes aber konnte das tendenziell deutlich skeptischere Verfassungsgericht gar nicht anders, als sich leise murrend hinter Draghi zu stellen. Ein klares Veto gegen dessen Politik hätte unweigerlich ein neues Beben an den Märkten ausgelöst. Zynisch gesagt gibt es auf dem Weg, den die Eurozone eingeschlagen hat, kein Zurück mehr, weil sie die Konstruktionsfehler ihrer Gründerjahre nicht mehr reparieren kann und ihr jede Kurskorrektur von Spekulanten wie Soros sofort als Schwäche ausgelegt würde. Unklar bleiben damit vor allem zwei Fragen: Wo genau endet eigentlich der Kampf gegen die niedrige Inflation und die flaue Kreditnachfrage, der durch das Mandat der Notenbank noch gedeckt ist – und wo beginnt die verbotene Finanzierung überschuldeter Staaten mit der Notenpresse?
Über Draghis zweites Programm hat das Verfassungsgericht noch nicht entschieden, nachdem es nun jedoch eine Art Obergrenze für die deutsche Beteiligung am Fall der Fälle gezogen hat, der ultimativen Verteidigung des Euro, müsste diese Logik eigentlich auch für das Tagesgeschäft der Zentralbank gelten, die inzwischen nicht nur italienische, spanische oder griechische Staatspapiere, sondern auch Unternehmensanleihen hortet.
In Euro und Cent festlegen lässt sich diese Obergrenze schwer, sie ist eher eine gefühlte Barriere: Es gibt, irgendwo, einen Punkt, an dem Deutschland sich auch verweigern kann. Theoretisch jedenfalls.
Staatsanleihen lässt Mario Draghi trotzdem aufkaufen
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