Wie viel ist ein Hähnchen wert?
Wie Wiesenhof versucht, den Ruf des Unternehmens zu verbessern
Vilsbiburg Die Welt scheint in Ordnung auf dem Hof der Familie Attenberger in Niederbayern. Schöne Lage auf einem Hügel, umgeben von gepflegten Feldern, die Gebäude gut in Schuss, im alten Stall Mastbullen, im neuen Stall Mastgeflügel.
Klein sind die künftigen Grillhähnchen noch. Drei Tage zuvor waren die Küken angeliefert worden. Jetzt wuseln sie in der 2026 Quadratmeter großen Halle herum, suchen Schutz rund um die ausgelegten Strohballen oder üben sich mit ihren kurzen Beinchen auf den Sitzstangen. Als „Privathof-Geflügel“, 1700 Gramm schwer, werden die 34600 Vögelchen am 1. Oktober geschlachtet. Das stand schon am Tag des Schlüpfens fest. 40 Tage werden ihnen zugestanden – die meisten Artgenossen aus konventioneller Aufzucht leben nur 30 Tage.
Diese hier haben es besser. Ein Drittel mehr Platz als üblich, Spielmöglichkeiten, einen Wintergarten zum Scharren, Steinblöcke zum Picken und Sitzstangen gibt es. Es sind die ersten Küken, die nach einem neuen, wie es heißt, „besonders tiergerechtem“ Konzept gemästet werden. Den Verbraucher kosten sie das 1,3 bis 1,4-Fache des normalen Preises. All das würde nicht weiter verwundern in einer Zeit, in der der Tierschutz vielen wichtig ist.
In diesem Fall erstaunt es aber doch. Die Einladung zur Stallbesichtigung kommt vom Wiesenhof-Konzern, dem Vertragspartner des Landwirts. Und der Zeitpunkt liegt wenige Tage vor der Ausstrahlung einer ARD-Dokumentation. Titel: „Das System Wiesenhof – Wie ein Geflügelkonzern Tiere, Menschen und die Umwelt ausbeutet“ (Mittwoch, 31. August, 21.45 Uhr).
Schon im vorigen Jahr hatte die ARD mit der Tierschutzorganisation Peta den Marktführer der Geflügelbranche in ein schlechtes Licht gerückt. Bilder von tierquälerischen Transport- und Tötungsmethoden in Niedersachsen wurden gezeigt. Das Echo der Sendung hallt nach.
Wiesenhof (Umsatz 2009/2010: rund 1,2 Milliarden Euro) antwortet mit einer Gegenoffensive. Mit dem Institut für Tierschutz, Tierhaltung und Tierhygiene der Ludwig-Maximilians-Universität München im Rücken, das eine begleitende Untersuchung zum Tierwohl gestartet hat, und mit dem Hinweis auf „einen Dialog“ mit dem Deutschen Tierschutzbund präsentierte der Vorstandsvorsitzende Peter Wesjohann das neue Produkt.
„Wir sind froh über jeden Schritt eines Unternehmens, dem Tierschutz mehr Raum zu geben“, kommentiert Marius Tünte die Werbekampagne des Konzerns. Es stehe Wiesenhof, wie anderen Firmen der Lebensmittelbranche, offen, sich für das neue Tierschutz-Label zu bewerben, das bis Jahresende verfügbar sein soll. Produziert wird zunächst in zwölf Betrieben in Bayern und Baden-Württemberg. Pro Woche sollen erst 35000 Tiere geschlachtet werden, bis zum Frühjahr 2012 dann 60000. „Wenn uns die Nachfrage überwältigen sollte, würden wir uns freuen“, so Wesjohann. Je nachdem, wie es angenommen werde, bestehe Interesse, dieses Segment weiter zu entwickeln.
Schon 2000 habe Wiesenhof versucht, mit den „Weidehähnchen“ eine alternative Haltungsform mit Auslauf ins Freie zu etablieren. Doch die doppelt so teuren Hähnchen seien nicht genügend angenommen worden.
Dann brach die Vogelgrippe aus und die Behörden erließen ein Aufstallungsgebot. Die eingesperrten Weide-Hähnchen durften nicht mehr unter dieser Bezeichnung verkauft werden – anders als die Biohähnchen. Sie blieben „Bio-Hähnchen“, obwohl auch sie nur noch im Wintergarten scharren durften, erklärte Dr. Josef Bachmeier, Veterinär und Geschäftsführer der Brüterei Süd in Rengestauf. Daraufhin stellte Wiesenhof die Produktion von Weidehähnchen, die mit dem bayerischen Tierschutzpreis gewürdigt worden war, ein.
Die neue Alternative gibt Landwirt Anton Attenberger jetzt die Möglichkeit, den damals gebauten Wintergarten wieder zu nutzen. Die Freilandhaltung ist allerdings passé. Aus Gründen des Verbraucherschutzes und des Tierseuchenrechts seien abgeschottete Betriebseinheiten nötig, so Veterinär Bachmeier.
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