Ein Tabu bricht schneller als ein Schweigen
Die 700. Aufführung von „Mein Körper ist mein Freund“ vereint alle Darsteller auf der Bühne.
Bereits 70.000 Zuschauer haben das Stück gesehen: Kinder, Eltern, Pädagogen. Wie viele gebrochene Seelen dadurch bereits vermieden werden konnten, ist nicht bekannt – sicherlich zahlreiche, und doch noch immer viel zu wenige. „Mein Körper ist mein Freund“ heißt das präventive Theaterprojekt, das vom Fenestra Institut betreut wird.
Es beschäftigt sich mit einem Thema, das bei den Opfern Übelkeit und bei den Erwachsenen Überforderung hervorruft: Sexuelle Grenzverletzungen bei Kindern und Jugendlichen. Eltern wie Lehrer fühlen sich dieser Problematik meist nicht gewachsen und haben durch die bisherigen Besucherzahlen gezeigt, welche unglaubliche Resonanz dieses pädagogische Experiment bereits hervorgerufen hat.
Stephan Eckl zog in Diedorf nun vor zahlreichen Unterstützern und Landrat Martin Sailer eine herausragende Bilanz. Eckl führte vor Augen, dass das Stück aufgrund der heiklen Thematik niemals auf die reine Aufführung begrenzt ist, sondern von allen Beteiligten sehr viel mehr abverlangt: Kindern benötigen mitunter eine intensive Nachbetreuung, Schauspieler die ausreichende Einfühlungsgabe: „Die Proben waren schwierig. Es wurden viele Tränen vergossen.“
Über das weitere Wirkungsumfeld informierte Christine Klein, die pädagogische Begleiterin. Ihre Arbeit befasst sich nicht nur mit der Entstehung und Erkennung sexueller Gewalt, sondern stellt auch praxisnahe Fragen, etwa wie zwischen Eltern und Lehrern sinnvolle Brücken gebaut werden können.
Die dann folgende 700. Bühnenaufführung war zum besonderen Anlass nicht nur mit üblichen drei Personen besetzt, sondern gleich mit acht Mitwirkenden, die abwechselnd in die verschiedenen Rollen schlüpften. Das spielerisch aufgebaute Stück erzählt von den Freunden Sven und Lea, die sich alle Geheimnisse anvertrauen. Alle Geheimnisse? Ihre Gespräche bringen schnell ans Licht, dass an Ihrer Schule Dinge vorkommen, über die man lieber nicht sprechen möchte.
Und was kann man schon machen, wenn der Aushilfstrainer zu einem Jungen in die Dusche steigt, oder sich die tröstenden Streicheleinheiten des Onkels nicht auf die Wangen beschränken?
Recht auf Unversehrtheit
Diese Bühnenproduktion vermittelt jungen Menschen auf motivierende Weise, dass auch sie ein Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit haben. Und was kaum zu glauben ist: Es ist ein äußerst humorvolles Stück! Die Darsteller verstanden es mit professionellem Geschick, ein derart ernstes Thema kindgerecht aufzuarbeiten. „Doktorspiele“ werden in einer herzerfrischenden Verrenkungskomik dargestellt, und der böse Wolf entpuppt sich als wahres Grimassengenie. Die musikalische Begleitung kam von Christian Rodenberg (Saxofon) und Fred Brunner (Keyboard), der bereits seit der Uraufführung dabei ist. Den Kindern wird bei dieser außergewöhnlichen Aufführung die nötige Kraft mitgegeben, sich gegen sexuelle Übergriffe zu wehren und einfache Möglichkeiten angeboten, auch in grenzwertigen Situationen „Nein“ sagen zu können.
Und: Ein Schweigen kann gebrochen werden – eine Kinderseele leider auch.
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